Magyria 02 - Die Seele des Schattens
nicht geschafft hatte, in die Burg zu gelangen, würde er nicht abtreten, ohne irgendjemanden mitzunehmen. Er brauchte ein Opfer, irgendeines, irgendwen.
Der Vorschlag mit dem Feuer kam von dem Mann mit dem Besen. Der war offensichtlich nicht auf den Kopf gefallen. Recht so.
Wilder schlich näher an die Stufen heran. Seine Verfolger unterhielten sich darüber, was sie anstecken sollten. Eine Frau bot an, einen Strohballen zu holen. Der Mann kniete sich hin, die Lampe vor sich auf dem Boden. Ein anderer starrte nach unten in die Dunkelheit. Nur einer.
Der Wolf sammelte sich zum Sprung. Schnell sein, darauf kam es jetzt an. Er hörte auf, menschliche Gedanken zu denken. Es gab bloß eins – die Beute.
Die steinernen Stufen hochjagen. Bevor sie wussten, wie ihnen geschah, bevor einer schrie, hatte er schon den Mann am Kragen gepackt und zog ihn mit sich. Ohne ihn zu beißen. Schleifte ihn die Treppe hinunter, während das Geschrei endlich losbrach.
»Tut etwas! Er hat Peron. Beim Licht! Oh nein!«
Auch Peron schrie. »Nein! Nein!«
Sie hätten ihrem Freund die Lampe nachschleudern können, ihn damit noch auf den Stufen treffen, sodass das brennende Öl sich über seine Kleidung ergossen und vielleicht auch dem Wolf das Fell versengt hätte. Wer wollte schon als Schatten leben, wenn er bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war? Doch die Akinker sahen in der Beute des Raubtiers immer noch den Mann, nicht den zukünftigen Schatten. Einen Augenblick zu lange zögerten sie, da hatte Wilder sein Opfer schon nach unten in die Finsternis geschleppt.
Der Entführte schlug mit bloßen Händen um sich, verzweifelt versuchte er, die Bestie abzuwehren.
»Nein«, schrie er, »nein!« Als könnte er das Tier, das ihn erwählt hatte, von seinem Irrtum überzeugen. »Geh weg! Lass mich! Hilfe!«
Wilder, immer noch die Zähne im Stoff, zerrte ihn weiter, doch Peron kam auf die Beine und taumelte gegen die aufgestapelten Fässer, die mit lautem Poltern umfielen und durcheinanderrollten. Er versuchte, sich irgendwo festzuhalten, während der Wolf an ihm riss.
»Lass mich … Helft mir! Holt mich hier raus!«
Wilder musste den Kragen loslassen, um seine Zähne ins Fleisch des Mannes schlagen zu können. Bei seiner wilden Flucht versuchte Peron über die Fässer zu laufen, die er im Dunkeln nicht sehen konnte, fiel hin, schrie auf, rappelte sich wieder hoch – und da flog schon ein Strohballen den steilen Treppenaufgang hinunter. Eine Öllampe folgte und zerbrach klirrend auf den steinernen Stufen. »Nimm das!«, schrie jemand von oben.
Im selben Moment wurde Wilder bewusst, dass er in einer Pfütze stand, in einer großen Lache Obstbrand. Peron, nass und wie in fruchtiges Parfüm getaucht duftend, sprang auf die Treppe zu …
Der Wolf flog über die Fässer hinweg, dem Fliehenden in den Rücken. Gemeinsam gingen sie zu Boden. Wilder grub die Zähne in das warme Fleisch, in den Schrei, während das Öl näher kroch und seine nassen Finger nach ihnen ausstreckte.
Als das Rinnsal brennenden Öls auf die erste Lache traf, waren beide, Wolf und Mann, nicht mehr da. Hoch und hell flammte das Feuer auf, dann zerbarst eins der leeren Fässer mit einem lauten Knall. Die Akinker oben am Treppenaufsatz fuhren erschrocken zurück, als ein Donnerschlag nach dem anderen den Boden unter ihnen erzittern ließ. Eine brüllende Wand aus Feuer raste die Stufen hinauf. Sie ergriffen die Flucht und retteten sich auf die Straße. Kein Wolf mit brennendem Pelz huschte ihnen nach, kein Schatten tanzte mit ausgebreiteten Armen ins Freie. Knisternd und krachend fraß das Feuer sich durch die Vorräte, ergriff Besitz von der Balkendecke und schwang sich dann ins Innere des darüber stehenden Hauses empor, bis der Brand die ganze Nacht erhellte und die Qualmwolke wie ein finsterer Schatten über der Stadt schwebte.
Es fiel ihm schwer, sich von dem Wolf zu trennen.
Mattim berührte noch einmal Belas rauchschwarzen Pelz.
»Ich muss zurück, Bruder«, sagte er.
Die klugen Augen des Tieres signalisierten Zustimmung. Sie wussten beide, dass er wiederkommen würde, dass er nicht lange in Budapest bleiben konnte, bevor es ihn zurück zu den Wölfen zog, in den düsteren Wald von Magyria. Sobald es Bela besser ging, hatten sie gemeinsam die anderen Rudel aufgesucht. Stundenlang war er mit den Wölfen unterwegs gewesen. Bei den meisten handelte es sich um gewöhnliche kleine Tiere, so wie sie vorher einfache Menschen gewesen waren, nur in der Gruppe
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