Magyria 02 - Die Seele des Schattens
riskieren.«
Farank berührte erst seine Lippen mit den Fingerspitzen, dann ihre. In seiner Stimme schwang so viel Liebe mit, dass Elira erschauerte, als er sagte: »Für das Licht. Vertrau mir.«
Er wandte sich zu den Bediensteten um, die sein Pferd bereithielten. Als er sich in den Sattel geschwungen hatte, blickte er noch einmal zurück zu seiner Frau. Sie umklammerte ihre Oberarme, als wäre ihr kalt. Hochgewachsen und gerade stand sie da, in ein dunkelgraues Gewand gehüllt, nicht wie eine Königin, sondern wie eine Trauernde. Seit ihr jüngster Sohn fort war, zog sie nichts Fröhliches mehr an, keinen Schmuck und auch keine glänzenden Kleider, die einer Frau ihres Standes angemessen gewesen wären. Selbst als er mit der Nachricht zu ihr gekommen war, dass Mattim keineswegs an die Schatten verloren war, sondern daran mitgewirkt hatte, den Überfall der Feinde auf Akink zu verhindern, war sie nicht so froh gewesen wie erwartet.
»Ich habe ihn auch getroffen«, hatte sie bekannt, und eine nachdenkliche Falte erschien auf ihrer Stirn, »doch es schien mir keineswegs sicher, dass er für unsere Seite kämpft.«
»Du hast ihn getroffen?« Farank war überrascht. »Wann? Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
»Ich wollte, dass du ihn in Erinnerung behältst, wie er war.« In ihrer Stimme lag immer noch derselbe Schmerz. Eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, die sich auch von der Hoffnung nicht mehr narren lässt, eine Mutter, die längst weiß, dass keine Wunder geschehen.
»Damit du davon träumen kannst, dass er gestorben ist, im Kampf, bis zuletzt der Prinz des Lichts. Dass es sein Tod war, den wir miterleben mussten, als das Licht erlosch und die Dunkelheit über Akink hereinbrach. Sein Tod, nicht sein Verrat.«
Der König hatte geschwiegen. Lange. Als er schließlich sprach, brannte in seinen Worten etwas, das mehr war als Hoffnung, das von einer unvorstellbaren Freude kündete und das er dennoch zurückhalten musste, weil es einfach zu unglaublich war. »Ich weiß nicht, was Mattim ist«, sagte er langsam. »Ein Schatten oder nicht? Falls ja, dann ist er etwas völlig anderes, als ich mir darunter vorgestellt habe. Ein Wesen, das unseren Feinden in nichts gleicht. Er ist nicht derselbe, der er war, aber nie hatte ich einen Grund, stolzer auf ihn zu sein als jetzt. Mattim hat mir den Sieg in die Hände gelegt, Elira. Er hat mir die Macht des Lichts gezeigt, er hat mich dazu gebracht, Dinge zu tun, die ich für unmöglich gehalten habe … Ich glaube nun wieder daran, dass wir die Schatten besiegen können. Dass eine Zeit des Glücks anbrechen wird. Wir sind noch nicht verloren.«
»Die Schatten sind immer noch da«, erinnerte Elira. »Hat er dir denn verraten, wie man sie vernichten kann?«
»Wir haben die Pforte geschlossen«, sagte Farank. »Nun werden sie dem Licht nicht mehr widerstehen können. Sie sind immer noch gefährlich, das weiß ich. Aber wenn ich mit meinen Soldaten zusammen in die Wälder gehe, werden wir sie bekämpfen. Winselnd werden sie vor dem Licht in die Knie sinken … Ich sehe sie vor mir, wie sie vergehen. Und wie sie erkennen müssen, dass sie dem Licht nichts mehr entgegenzusetzen haben. Das ist Mattims Geschenk an uns. Ich nehme es an.«
Er genoss es, den Namen seines Sohnes wieder in den Mund zu nehmen. Die weichen Silben, zärtlich wie eine Liebkosung. Mattim. Der Name des Jungen mit dem goldenen Haar und den grauen Augen. Ja, so grau wie Eliras Umhang … Nein, er wollte nicht mehr an den Schmerz denken, an die vergangenen Monate. Sie waren ihm vorgekommen, als müsste er einen schroffen Felsen hochklettern, mit müden, blutig geschundenen Händen, um die Stadt, die er auf dem Rücken trug, hoch ins Licht zu bringen. Eine Kletterpartie, die damit enden würde, dass er stürzte, tiefer, als irgendein Fall gehen konnte, in den Abgrund, der unter ihm gähnte, in eine Dunkelheit, die es nicht nötig hatte, nach ihm zu greifen. Die nur auf ihn wartete.
Nein. Er würde nicht abstürzen. Er hatte eine Chance, die Stadt hoch ins Licht zu heben. Und mit der Stadt sein geschundenes Königreich, in dem die Schatten wüteten, ohne sich um die Soldaten des Königs zu scheren. Damit war es ab jetzt vorbei.
Farank nickte dem Hauptmann des Trupps zu. Die zweihundert Brückenwächter salutierten, als der König mit seinen Leuten zwischen ihnen hindurchritt, und obwohl sie es gewöhnt waren, keine Gefühle zu zeigen, verrutschte doch dem einen oder anderen sein unbewegliches
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