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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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leise.
    Schweigen herrschte in der Leitung. Dann: »Der Anemone? Na, dann ist ja alles klar.«
    Perreault schüttelte den Kopf. »Ich meine, eine Seeanemone. Dieses Raubtier, das am Meeresboden auf der Lauer liegt und Fische frisst. Aber manchmal …«
    »Ich weiß, was eine Seeanemone ist, Suze. Aber was wollen Sie damit sagen?«
    »Alles steht irgendwie Kopf. Die Mechfliegen, die Matchmaker – das ganze System hat eine Hundertachtzig-Grad-Wende vollzogen und beschützt nun genau das, was es eigentlich angreifen sollte. Verstehen Sie?«
    »Irgendwie nicht. Mit Metaphern habe ich mich stets etwas schwer getan.« Sie lachte leise. »Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, ein Seestern zu sein.«
    Perreault fragte sich, was Lenie damit meinte, doch sie hakte nicht weiter nach.
    »Also, mit dieser Anemone, von der Sie da reden, ist nicht zu spaßen«, sagte Clarke. »Sie ist enorm einflussreich.«
    »Ja.«
    »Warum ist sie dann so unglaublich dumm ?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie scheint kein richtiges Ziel zu besitzen, wissen Sie? Ich habe die Threads gesehen – dieses Ding hat mich auf tausend verschiedene Arten beschrieben und sich dann einfach für die entschieden, die am populärsten war. Ich weiß nicht, wie viele Verrückte es auf mich gehetzt hat, über meine Uhr, meinen Visor – sogar über Verkaufsautomaten, wussten Sie das? –, und erst als ich mich geweigert habe, mit irgendjemandem sonst zu sprechen, hat es sich für Sie entschieden. Jedem Haploiden wäre klar gewesen, dass er die meisten von diesen Arschlöchern gar nicht erst hätte vorsprechen lassen müssen, aber Ihre Anemone geht einfach … nach dem Zufallsprinzip vor. Warum?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Haben Sie sich das nie gefragt?«
    Natürlich hatte sie das. Aber irgendwie schien es keine große Rolle zu spielen.
    »Vielleicht ist die Wahl deshalb auf Sie gefallen«, sagte Clarke.
    »Warum?«
    »Weil Sie eine gute Soldatin sind. Man gibt Ihnen eine Sache, für die Sie kämpfen können, und Sie befolgen Befehle und stellen keine unangenehmen Fragen.« Ein Flüstern in der Leitung. Dann: »Warum helfen Sie mir, Sou? Sie haben die Threads gesehen.«
    »Sie haben gesagt, dass die Threads lügen«, sagte Perreault.
    »Die meisten davon. Fast alle. Aber die haben die Channer-Quelle in die Luft gesprengt. Sie müssen gewusst haben, was für ein Kollateralschaden daraus entstehen würde, und sie haben es trotzdem getan. Sie haben die Flüchtlingszone niedergebrannt. Und das Leben in der Riftzone … Gott weiß, was dort unten war. Was ich mit hochgebracht habe.«
    »Ich denke, Ihre Bluttests waren alle in Ordnung?«
    »Die Tests sehen nur das, wonach sie suchen. Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
    Perreault schwieg eine ganze Weile.
    »Weil die versucht haben, Sie zu vernichten«, sagte sie schließlich. »Und Sie immer noch am Leben sind.«
    »Hm.« Ein tiefer Atemzug hallte flüsternd durch das Headset. »Hatten Sie schon mal einen Hund, Sou-Hon? Als Haustier?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, was passiert, wenn man einen Hund einsperrt und von allen anderen lebenden Wesen isoliert, um dann einmal am Tag zu ihm zu gehen und ihn zu verprügeln?«
    Perreault lachte nervös. »Hat das tatsächlich mal jemand ausprobiert?«
    »Hunde sind gesellige Tiere, und der Hund fühlt sich irgendwann so einsam, dass er sich darüber freut, verprügelt zu werden. Er bettelt sogar darum.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Vielleicht sind es die Leute inzwischen einfach so sehr gewöhnt, getreten zu werden, dass sie jedem helfen, dessen Stiefel groß genug ist.«
    »Oder vielleicht«, sagte Perreault, »haben wir es auch einfach nur satt, ständig Prügel zu beziehen, und verbünden uns nun mit jedem, der zurückschlägt.«
    »Ach ja? Ganz gleich, was für Konsequenzen das hat?«
    »Was haben wir schon zu verlieren?«
    »Sie haben nicht die geringste Ahnung.«
    »Aber Sie. Sie müssen es die ganze Zeit über gewusst haben. Wenn die Gefahr wirklich so groß ist, warum haben Sie sich dann nicht den Behörden gestellt? Die Welt gerettet? Sich selbst gerettet?«
    »Die Welt hat eine Abreibung verdient«, sagte Clarke leise.
    »Das ist also Ihr Ziel? Sich an neun Milliarden Menschen zu rächen, die Sie nicht einmal kennen?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht früher einmal.«
    »Und jetzt?«
    »Ich will …« Clarkes Stimme versagte. Schmerz und Verwirrung strömten in die Bresche. »Sou, ich will einfach nur nach Hause zurückkehren.«
    »Dann tun Sie

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