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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Komponenten ist im Augenblick noch unklar. Sensitivitätsanalyse ergibt ein 95 %-Konfidenzintervall zwischen 50 und 94 Jahren bei einer geschätzten Letalität von 90 %.
    Empfehlungen : Die Bemühungen zur Einflussnahme auf die gegenwärtige Zustandskurve sollten fortgesetzt werden. Budget für Rückzugsmöglichkeiten sollte wie folgt verteilt werden:
    1. Orbital: 25%
    2. Cheyenne: 5 %
    3. Mittelatlantischer Meeresrücken: 50 %
    4. Metamorph: 20 %

Anemone
    Sie war ein Eindringling in ihrem eigenen Zuhause geworden.
    Sou-Hon Perreault lebte inzwischen praktisch in ihrem Büro. Dort befand sich al les, was ihr wichtig war. Ein Fenster zur Welt. Ein Zweck. Eine Zufluchtsstätte.
    Allerdings musste sie immer noch essen und zur Toilette gehen. Ein oder zweimal am Tag verließ sie deshalb ihre Höhle und kümmerte sich um die Grundbedürfnisse ihres Körpers. Meistens begegnete sie Martin, dessen Aufträge ihn in der Regel außer Haus führten, dabei nicht einmal.
    Doch als sie nun zurückkehrte – oh Gott, warum gerade jetzt? –, befand er sich im Wohnzimmer.
    Er wühlte im Aquarium herum und hatte ihr den Rücken zugekehrt. Beinahe wäre es ihr gelungen, sich an ihm vorbeizuschleichen.
    »Das Männchen ist gestorben«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    Er drehte sich zu ihr um. In dem Kescher in seiner Hand hing ein blasser, starrer Jungfernfisch. Ein milchiges Auge starrte blind durch das Netz.
    »Er sieht aus, als sei er schon eine Weile tot«, sagte Martin.
    Sie blickte an ihm vorbei zu dem Aquarium hinüber. Das Glas war von Braunalgen überzogen. Die prächtige Anemone in seinem Innern wirkte zusammengesunken und ausgefranst; ihre Tentakel zuckten schwach in der Strömung.
    »Verdammt, Marty. Hättest du nicht mal das Becken saubermachen können?«
    »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Ich war die letzten zwei Wochen in Fairbanks.«
    Das hatte sie ganz vergessen.
    »Sou, die Medikamente wirken nicht. Ich glaube, wir sollten wirklich darüber nachdenken, dir einen Therapeuten zu besorgen.«
    »Mir geht es gut«, sagte sie automatisch.
    »Dir geht es ganz und gar nicht gut. Ich habe mich bereits erkundigt. Wir können es uns leisten. Er wäre rund um die Uhr verfügbar, wann immer du ihn brauchst.«
    »Ich vertraue Therapeuten nicht.«
    »Sou, er wäre ein Teil von dir. In gewisser Weise ist er das bereits, sie haben ihn bloß noch nicht … isoliert. Und die Nervenverbindungen verlaufen direkt durch deine Schläfenlappen. Du könntest mit ihm also genauso reden wie mit einem echten Menschen.«
    »Du willst einen Teil meines Gehirns herausschneiden lassen.«
    »Nein, Sou, es geht nur darum, ein paar neue Verknüpfungen herzustellen. Wusstest du, dass das Gehirn über hundert Persönlichkeiten mit eigenständigem Bewusstsein unterhalten kann? Und die sensorische und motorische Leistung wird davon nicht im Geringsten beeinträchtigt. Es wäre nur eine Persönlichkeit, und sie würde so wenig Platz einnehmen …«
    »Mein Mann, die wandelnde Werbebroschüre.«
    »Sou …«
    »Man nennt das eine multiple Persönlichkeitsstörung, Martin. Mir ist egal, was für hübsche Bezeichnungen sie heutzutage dafür erfinden, und es kümmert mich auch nicht, wie viele unserer Freunde ein glückliches, erfülltes Leben führen, weil sie Stimmen in ihrem Kopf hören. Das ist krank.«
    »Sou, bitte. Ich liebe dich. Ich versuche doch nur, dir zu helfen.«
    »Dann geh mir aus dem Weg.«
    Sie flüchtete sich in ihre Höhle zurück.
     
    Sou-Hon. Sind Sie dort?
     
    »Ja.«
     
    Gut. Halten Sie sich bereit.
     
    Weißes Rauschen. Ein Spinnennetz aus Verbindungen und Schnittstellen flackerte kurz auf, orangefarbene Fäden, die sich über einen ganzen Kontinent hinzogen. Dann tauchten die Worte Kein Bild in der Mitte der Anzeige auf, während überall sonst Dunkelheit herrschte.
     
    Beginnen Sie.
     
    »Lenie?«, fragte Perreault.
    »Ah. Ich habe mich schon gefragt, wann das kommen würde.«
    »Was meinen Sie?«
    »Dass sie sich in meinen Visor einhacken. Sou-Hon, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Nun, zumindest das haben sie inzwischen begriffen.«
    Perreault holte erleichtert Luft. »Geht es Ihnen gut?«
    »Ich bin entkommen. Und das habe ich wohl zum Teil auch Ihnen zu verdanken. Das waren doch Sie in der Mechfliege, oder? In Yankton?«
    »Das war ich.«
    »Vielen Dank.«
    »Danken Sie nicht mir. Danken Sie …«
    Der Jungfernfisch fiel Perreault wieder ein, wie er sicher im Nest der giftigen Tentakel ruhte.
    »… der Anemone«, schloss sie

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