Maienfrost
Großvaters geschah. Fest steht ja wohl, dass sie ihr Leben lassen mussten.«
»Aber gewiss nicht durch die Schuld meines Großvaters!«, entrüstete sich der Immobilienmakler. »Er versuchte bis zuletzt sie vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Dass es ihm nicht rechtzeitig gelang, ist nun wirklich nicht seine Schuld. Und dass er danach diesen Großauftrag an Land ziehen konnte, hat nicht das Geringste mit dem Verbleib seiner Familie zu tun«, fügte Pascal hinzu, bevor der Kommissar ihn unterbrechen konnte.
»Aber es ist doch wohl unbestritten, dass Ihr Großvater Mitglied der NSDAP war. Ich bin sicher, das ließe sich nachweisen, wenn ich es darauf anlegen würde«, zauberte Henning seinen letzten Trumpf aus der Tasche.
»Ich kann mich nicht erinnern, diese Tatsache bestritten zu haben«, hielt ihm Carmens Mann entgegen. »Allerdings verhielt es sich anders, als Sie annehmen. Mit diesem Schritt versuchte mein Großvater doch nur, seine Haut und die seiner Familie zu retten. Es war ein Schachzug. Indem er Hitlers Getreue glauben ließ, einer von ihnen zu sein, erhoffte er sich Sicherheit auch für seine Angehörigen. Als er erkennen musste, dass seine Rechnung nicht aufging, war es schon zu spät. Er konnte es nicht verhindern, dass man seine Frau und die Kinder in einen Hinterhalt lockte und ermordete.«
»Warum blieb er dann nach Kriegsende nicht hier, um diesen Irrtum aufzuklären?«
»Sie sind gut! Was glauben Sie denn, was die Russen mit ihm gemacht hätten, wenn sie seiner habhaft geworden wären. Da wurde nicht lange gefackelt. Ich schätze er hätte noch nicht mal einen fairen Prozess bekommen. Zumal Carmens Vater damals den ganzen Ort gegen ihn aufgehetzt hatte. Mein Großvater konnte sich nirgends mehr sehen lassen. Was blieb ihm denn übrig?«
Henning sah ein, dass es zwecklos war, dieses Thema weiterzuverfolgen. Anscheinend gab es in dieser traurigen Angelegenheit zwei Wahrheiten. Welche die rechte war, würde er wohl kaum mehr herausfinden, wollte es auch nicht. Deshalb war er schließlich nicht hergekommen. Der Einzige, der Klarheit in die fürchterlichen Geschehnisse bringen konnte, hatte sein Wissen mit ins Grab genommen.
Sein Schweigen falsch deutend, fuhr ihn Pascal an: »Was soll das? Sind Sie nur deshalb hier, um von mir Rechenschaft über das Leben meines Großvaters zu verlangen? Wenn dem so ist, dann würde ich Sie bitten, mein Haus zu verlassen. Ich habe weiß Gott besseres zu tun, als mich und meine Familie beleidigen zu lassen.« Demonstrativ wies er zur Tür. Sein Gesicht glich einer versteinerten Maske.
»Ich gebe ja zu, übers Ziel hinausgeschossen zu sein«, entschuldigte sich Henning. »Lassen Sie uns das Thema wechseln, ich …«
»Sie scheinen mich nicht richtig verstanden zu haben«, ließ sich der Immobilienmakler vernehmen. Seine Stimme glich gefrorenem Eis. »Ich will, dass Sie auf der Stelle mein Haus verlassen.«
Henning brannten noch tausend Fragen auf der Zunge. Doch augenblicklich waren ihm die Hände gebunden. Angesichts seiner Situation blieb ihm nichts anderes übrig, als Pascal Austens Rauswurf zu akzeptieren. Schließlich war er mit keinerlei polizeilichen Befugnissen ausgestattet, die eine weitere Befragung rechtfertigten. Schlimmstenfalls musste er sogar damit rechnen, dass Carmens Mann seinem Unmut mit einem Anruf bei der örtlichen Polizeibehörde Luft machen würde. Henning wollte lieber nicht über mögliche Konsequenzen nachdenken. Zähneknirschend erhob er sich. In Gedanken schalt er sich einen Narren, weil er dem Drang, etwas über Anton Austen in Erfahrung zu bringen, nicht widerstehen konnte. Sein Verhalten ließ sich einfach nicht entschuldigen. Er hätte es besser wissen müssen. Doch nun war es zu spät, seine Chance vertan. Henning blieb nur noch mit dem letzten Rest der ihm verbliebenen Würde das Feld zu räumen. Seine offenen Fragen würden warten müssen.
In dem Moment, als er wieder auf der Straße stand und das schmiedeeiserne Tor hinter sich ins Schloss fallen hörte, wurde ihm endgültig klar, dass es sich für ihn nicht mehr öffnen würde.
Immerhin bewies er noch so viel Geistesgegenwart, vor Verlassen des Hauses die von Pascal Austen erstellte Gästeliste an sich zu nehmen. Zurück in seinem Zimmer, verglich er die Namen, die sie enthielt mit Albert Pirells Aufzeichnungen. Während er sie einander gegenüberstellte, fiel ihm auf, dass sich in seinen Unterlagen keinerlei Hinweis auf Wigald Austen, Pascals Vater fand. Vielmehr sah
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