Maienfrost
seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah er, dass er sich in einer Garage befand. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er hinter einem zu seiner Linken geparkten Transporter einen schwarzen Mercedes mit dunkel getönten Scheiben stehen sah. In seinem Verdacht bestätigt, näherte er sich ihm, um ihn besser in Augenschein nehmen zu können. Sein daraufhin gestarteter Versuch, die Autotür zu öffnen, um einen Blick ins Wageninnere werfen zu können, scheiterte. Der Mercedes war abgeschlossen. Unverrichteter Dinge wandte Henning sich dem Transporter zu. Bevor er sich anschickte, ihn zu inspizieren, lauschte er nach Geräuschen. Doch nichts rührte sich. Es war geradezu beängstigend still. Lediglich der Schlag seines eigenen Herzens hallte in seinen Ohren wider.
21
In der Überzeugung, den in ihm schlummernden Dämon zum Schweigen gebracht zu haben, streckte er sich entspannt auf seinem Ruhelager aus. In seinen Lenden machte sich ein angenehmes Kribbeln breit, als er an die junge Frau, sein letztes Opfer, dachte. Mit ihrem Tod war die Schmach gerächt, die an ihm klebte wie sündiges Blut. Ihr unerwarteter Anblick gab längst überwunden geglaubten Albträumen neue Nahrung. Der Teufel, der ihm seither wieder jede Nacht in Gestalt von Carmen erschienen war, bedrängte ihn. Seine Nachricht war unmissverständlich. Er befahl ihm, sich zu rächen. Nichts war zufällig. Alles hatte einen tieferen Sinn. Auch wenn es eine Weile dauerte, bis er begriff. Nicht dem Zufall, vielmehr einer höheren Macht, war es zu verdanken, dass er seine Schritte an jenem Abend zu dieser denkwürdigen Theatervorführung am Kap lenkte. Doch das wurde ihm erst bewusst, als er sich Carmens Reinkarnation gegenübersah. Die in der darauf folgenden Nacht einsetzenden Albträume trieben ihn an den Rand des Wahnsinns. Er musste sich ihrer erwehren, wollte er nicht den Verstand verlieren.
Dass Vanessa Rothe seinen Weg kreuzte, schrieb er einer schicksalhaften Vorsehung zu. Ihr Anblick setzte eine tödliche Maschinerie in seinem Kopf in Bewegung. Lea Goldbach, sein erstes Opfer, die wegen der ihm widerfahrenen Demütigung sterben musste, war ihm bei einer seiner Stippvisiten in Seilin aufgefallen. Es war ein Kinderspiel, sie wegzulocken, zu betäuben und danach zu töten. Sein zweites Opfer, Lisa Ahrens, die wegen des an ihm begangenen Betrugs ihr Leben lassen musste, hatte ihm der Zufall in die Hände gespielt und Vanessa Rothes Schicksal war besiegelt worden, als er sie, ein Ebenbild Carmens, auf der Bühne stehen sah. Als Nummer drei auf seiner Liste musste sie dafür büßen, dass seine Liebe ausgenutzt worden war. Sie war der Auslöser. Was mit ihr begann, sollte auch mit ihr enden.
Ihres Symbolgehaltes wegen ließ er in einem unbemerkten Augenblick drei der Lilien mitgehen, um mit ihnen seine späteren Opfer zu schmücken. Sie der Öffentlichkeit effektvoll als Bräute in Szene gesetzt zu präsentieren, gehörte gleichfalls zu seinem Plan. Auch die späteren Leichenfundorte hatte er mit Sorgfalt ausgewählt. Er wollte die ganze Welt an seinen Taten teilhaben lassen. Alle sollten sehen, dass es ihm endlich gelungen war, Satan das Handwerk zu legen und die ihm zugefügte Schmach zu sühnen.
Von einem tiefen Frieden umgeben, schloss er die Augen. Eine bleierne Müdigkeit nahm Besitz von seinem Körper. Den Anblick seiner Opfer vor Augen schlief er ein.
Durch dichten Nebel wandelnd, sah er zwei Gestalten auf sich zukommen. Bei näherem Betrachten erkannte er sich selbst in einer der beiden Personen wieder. Er trug einen eleganten schwarzen Zweiteiler. Als die Dunstschwaden sich lichteten, sah er sich aus der Distanz des Träumenden betrachtet, inmitten einer in Kerzenlicht getauchten Kirche stehen. Ihm zur Seite befand sich eine in Weiß gehüllte Engelsgestalt. Einem Glorienschein gleich, umgab ein Strahlenkranz ihr schwarz seidenes Haar. Als sie sich ihm lächelnd zuwandte, blickte er in ein Gesicht von überirdischer Schönheit. Die Art, wie sie ihn ansah, erinnerte ihn an Mona Lisas unergründliches Lächeln.
Am Altar angekommen, reichte die Lichtgestalt ihm demutsvoll die Hand. Ein Geistlicher erschien, um ihnen den Segen zu erteilen. Selbst im Traum konnte er sein Glück kaum fassen. Was, so fragte er sich, mochte dieses himmlische Wesen veranlasst haben, ihm anzugehören?
Wie hätte er im Augenblick höchster Seligkeit ahnen können, dass er seine Liebe an eine ihm Unwürdige verschwendete. An eine Frau, die im Begriff
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