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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simenon
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gestochen scharf, daß man meinen konnte, er würde es nicht aushalten und zerbrechen.

    Jajas nächster Anfall stand bevor. Man spürte, wie er sich in ihr vorbereitete, wie er allmählich den ganzen großen, schwammigen Körper durchdrang, die Augen aufleuchten ließ, die Kehle zuschnürte. Jaja nahm sich zusammen, sie versuchte mit größter Mühe, sich zurückzuhalten, während Sylvie ganz aufgelöst noch immer mitten im Zimmer stand, mit gesenktem Kopf, die Hände auf der Brust verkrampft, und nicht wußte, was sie tun, wohin sie sich wenden, wie sie sich verhalten sollte.
    Maigret rauchte seine Pfeife. Im übrigen war er ganz ruhig. Er wußte, daß sich der Kreis geschlossen hatte.
    Es gab kein Geheimnis mehr, nichts Unvorhergesehenes konnte mehr geschehen. Alle Personen hatten ihren Standort eingenommen: die beiden Damen Martini, die junge und die alte, die in ihrer Villa mit Hilfe von Monsieur Petitfils die Bestandsaufnahme der Einrichtung machten. Harry Brown, der im Hotel Provençal in aller Gemütsruhe das Resultat der Untersuchung abwartete und währenddessen am Telefon und per Telegramm seine Geschäfte abwickelte …
    Joseph im Gefängnis …
    Und hier Jaja, die sich nun aufrichtete, am Ende ihrer Fassung und am Ende ihrer Nervenkraft. Sie blickte Sylvie wütend an und zeigte mit ihrer unversehrten Hand auf sie.
    »Sie ist schuld! Die Schlange! Die dreckige H…!«
    Sie schrie das kräftigste Schimpfwort heraus, das ihr Vokabular aufzuweisen hatte. Dicke Tränen kullerten von ihren Wimpern.
    »Ich hasse sie! Verstehen Sie! Ich hasse sie! Sie ist schuld! Sie hat mir die ganze Zeit was vorgemacht! Und wissen Sie, wie sie mich genannt hat? Die Alte ! Jawohl! Die Alte! Mich, die …«
    »Leg dich wieder hin, Jaja«, sagte Maigret, »du mußt dich schonen.«
    »Ach, Sie!« Und mit erneuter Kraft schrie sie plötzlich weiter:
    »Aber das laß ich mit mir nicht machen! Ich gehe nicht nach Hagenau! Verstehen Sie! Oder sie geht mit! Ich will nicht … Ich will nicht …«
    Ihre Kehle war wie ausgetrocknet, und sie sah sich instinktiv nach etwas zu trinken um.
    »Holen Sie die Flasche her«, sagte Maigret zu Sylvie.
    »Aber sie hat doch schon …«
    »Gehen Sie nur.«
    Er sah aus dem Fenster und vergewisserte sich, daß man sie vom Haus gegenüber nicht mehr beobachtete. Jedenfalls sah er niemanden mehr hinter der Fensterscheibe.
    Ein Stück Straße mit holprigem Pflaster. Eine Gaslaterne. Das Reklameschild von der Bar gegenüber …
    »Ich weiß, daß Sie sie decken wollen, weil sie jung ist. Vielleicht hat sie Ihnen auch schon Vorschläge gemacht …«
    Sylvie, zermürbt und müde, kam mit einer halbvollen Flasche Rum zurück und reichte sie Maigret.
    Jaja spöttelte:
    »Jetzt, wo ich eh bald abkratze, darf ich, was? Ich hab genau gehört, was der Doktor gesagt hat.«
    Allein der Gedanke brachte sie außer sich. Sie hatte Angst vor dem Sterben. Ihre Augen blickten wild.
    Aber sie nahm die Flasche, trank gierig und beobachtete währenddessen abwechselnd ihre beiden Besucher.
    »Die Alte kratzt ab, ja! Aber ich will nicht. Erst soll sie abkratzen. Sie hat …«
    Sie hielt mitten im Satz inne, wie jemand, dem der Faden seiner Gedanken abreißt. Maigret unternahm nichts. Er wartete ab.
    »Hat sie geredet? Natürlich hat sie geredet, sonst hätte man sie nicht laufenlassen. Während ich versucht habe, sie rauszuholen. Es ist nicht wahr, daß Joseph mich zu dem Sohn von William nach Antibes geschickt hat. Ich allein … Verstehen Sie?«
    Oh ja! Maigret verstand jetzt alles. Seit einer guten Stunde brauchte er keine weiteren Informationen mehr.
    Er zeigte mit einer flüchtigen Handbewegung auf das Sofa.
    »Es war nicht William, der da schlief, nicht wahr?«
    »Nein, er hat nicht da geschlafen! Er hat hier geschlafen, hier in meinem Bett! William war mein Geliebter! William kam nur wegen mir hierher, allein wegen mir, und die da, die ich aus Nächstenliebe bei mir aufgenommen habe, die schlief auf dem Sofa. Das hatten Sie sich inzwischen doch schon gedacht, oder?«
    Sie schrie das alles mit rauher Stimme. Man konnte sie nicht mehr unterbrechen. Es stieg von ganz unten aus ihr auf. Ihr Innerstes kam ans Tageslicht, die wirkliche Jaja, die nackte Jaja.
    »Die Wahrheit ist, daß ich ihn geliebt habe und daß er mich geliebt hat! Er wußte, daß ich nichts dafür konnte, daß ich keine Erziehung und keine Bildung gehabt habe. Er war glücklich bei mir. Das hat er mir gesagt. Er war sehr, sehr unglücklich, wenn er wieder

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