Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Titel: Maigret - 26 - Maigret regt sich auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
überhaupt gesprochen habe. Sie setzte sich in einen breiten Sessel und wirkte, als ob sie ebensogut woanders sein könnte. Dennoch gab sie ihrem Mann einen leisen Wink. Er verstand nicht. Mit einem Blick deutete sie auf die obere Etage der Villa. Ergänzend fügte sie hinzu:
    »Es ist Georges-Henry …«
    Darauf runzelte Malik die Stirn, stand auf und sagte zu Maigret:
    »Du entschuldigst mich einen Augenblick?«
    Die Frau und der Kommissar blieben unbeweglich und schweigend zurück, dann entstand plötzlich so etwas wie Lärm im Obergeschoß. Eine Tür wurde aufgerissen. Schnelle Schritte. Eines der Fenster wurde geschlossen. Gedämpfte Stimmen. Die Echos einer Auseinandersetzung vermutlich, jedenfalls einer scharfen Diskussion.
    Alles, was Madame Malik zu sagen wußte, war:
    »Sind Sie schon einmal in Orsenne gewesen?«
    »Nein, Madame.«
    »Es ist recht hübsch hier, wenn man das Landleben liebt. Es ist vor allen Dingen erholsam, nicht wahr?«
    Und das Wort ›erholsam‹ nahm in ihrem Mund eine ganz besondere Note an. Sie war so weichlich, vielleicht so erschöpft oder mit so wenig Lebendigkeit ausgestattet, ihr Körper lag derart schlaff in dem Korbsessel, daß sie die Ruhe in Person, die ewige Ruhe darstellte.
    Dennoch lauschte sie den Geräuschen in der ersten Etage, die langsam schwächer wurden, und als man nichts mehr hörte, sagte sie: »Sie essen doch bei uns zu Abend?«
    So wohlerzogen sie auch war, es gelang ihr nicht, wenigstens aus Höflichkeit Freude zum Ausdruck zu bringen. Sie stellte etwas fest. Sie stellte es widerwillig fest. Malik kam zurück, und als Maigret ihn anblickte, zeigte er erneut sein abgezirkeltes Lächeln.
    »Entschuldige … Dauernd muß man sich um die Dienerschaft kümmern.«
    Mit einer gewissen Verlegenheit erwartete man das Glockenzeichen zum Essen. In Gegenwart seiner Frau erschien Malik weniger ungezwungen.
    »Ist Jean-Claude noch nicht zurück?«
    »Ich glaube, ihn auf dem Anlegesteg gesehen zu haben.«
    Tatsächlich stieg ein junger Mann in kurzen Hosen aus einem leichten Segelboot, das er vertäute. Mit seinem Sweater über dem Arm kam er langsam auf das Haus zu. In diesem Moment läutete die Glocke, und man begab sich in den Speiseraum, wo man bald den frisch gewaschenen, gekämmten und in grauen Flanell gekleideten Jean-Claude erblicken sollte, den ältesten Sohn von Ernest Malik.
    »Wenn ich eher gewußt hätte, daß du kommst, hätte ich meinen Bruder und meine Schwägerin dazugebeten, damit du die ganze Familie kennenlernst. Wenn du willst, lade ich sie morgen ein, dazu unsere Nachbarn, die nicht sehr zahlreich sind. Bei uns ist nämlich der Versammlungsort … Wir haben fast immer Gäste … Man kommt, man geht, man fühlt sich halt wie zu Hause.«
    Das Eßzimmer war weiträumig und reich ausgestattet. Der Tisch war aus rotgeädertem Marmor, und unter jedem Gedeck lag ein winziges einzelnes Deckchen.
    »Kurz und gut, wenn ich dem Glauben schenken darf, was die Zeitungen über dich berichtet haben, hast du bei der Polizei ganz schön Erfolg gehabt. Ein eigenartiger Beruf. Ich habe mich oft gefragt, warum man Polizist wird, in welchem Augenblick und wie man seine Berufung erfährt. Denn schließlich …«
    Seine Frau war abwesender denn je. Maigret beobachtete Jean-Claude, der seinerseits, sobald er sich nicht anderen Blicken ausgesetzt sah, den Kommissar aufmerksam musterte.
    Der junge Mann war kalt wie der Marmor des Tischs. Mit seinen neunzehn oder zwanzig Jahren hatte er bereits die Selbstsicherheit seines Vaters. Malik dürfte sich nicht leicht aus der Fassung bringen lassen, und dennoch lag so etwas wie Beklemmung in der Luft.
    Man sprach nicht von Monita, die in der vergangenen Woche gestorben war. Vielleicht zog man es vor, in Gegenwart des Personals nicht von ihr zu reden.
    »Siehst du, Maigret«, sagte Malik, »auf dem Gymnasium seid ihr allesamt blind gewesen, und ihr habt nicht gewußt, was ihr tatet, als ihr mich den Steuereinnehmer genannt habt. Du erinnerst dich, einige von uns waren nicht reich und hielten sich von den Söhnen der Krautjunker und Großbürger mehr oder weniger fern. Ein paar haben darunter gelitten, und andere wie dich hat das gleichgültig gelassen.
    Mich hat man verächtlich den Steuereinnehmer genannt, und gerade das hat mich am Ende stark gemacht …
    Wenn du wüßtest, was alles durch die Hände eines Steuereinnehmers geht! Ich habe die schmutzige Wäsche von Familien kennengelernt, die nach außen hin als die solidesten galten

Weitere Kostenlose Bücher