Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
Maigret konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn er an die Wut dachte, die Malik bestimmt gepackt hatte, weil er diese nicht sehr glorreiche Verfolgung antreten mußte.
Sie hatten Zeit, den Käse zu essen, dann den Nachtisch. Es war der Moment, sich zu erheben und in den Salon oder auf die Terrasse zu begeben, wo es noch nicht dunkel war. Der Kommissar schaute auf die Uhr und stellte fest, daß zwölf Minuten vergangen waren, seit der Hausherr hinausgestürzt war.
Madame Malik stand nicht auf. Ihr Sohn versuchte, diskret auf ihre Pflicht hinzuweisen, als man endlich Schritte im Nebenraum hörte.
Es war der Steuereinnehmer mit seinem üblichen Lächeln, das jedoch ein bißchen verkrampft wirkte, und das erste, was Maigret auffiel, war die Tatsache, daß er die Hose gewechselt hatte. Zwar war sie ebenfalls aus weißem Flanell, aber sie war frisch aus dem Schrank genommen, die Bügelfalte saß tadellos.
War Malik bei seinem Lauf an den Dornen hängengeblieben? Oder war er durch irgendeinen Bach gewatet?
Er hatte nicht die Zeit gehabt, sich sehr weit zu entfernen. Dennoch bedeutete sein Wiedererscheinen einen Rekord, denn er war keineswegs außer Atem, sein eisengraues Haar war sorgfältig gekämmt, nichts an seinem Äußeren ließ auf irgendeine Unordnung schließen.
»Ich habe einen Strolch von …«
Der Sohn zeigte sich seines Vaters würdig, denn er unterbrach ihn auf die natürlichste Weise der Welt:
»Bestimmt wieder Georges-Henry! Ich erzählte eben dem Kommissar, daß er beim Abitur durchgefallen ist und daß du ihn in seinem Zimmer eingeschlossen hast, damit er sich auf seinen Hosenboden setzt.«
Malik zuckte nicht mit der Wimper, äußerte keinerlei Zufriedenheit oder Bewunderung für diesen improvisierten Versuch, ihm aus der Verlegenheit zu helfen. Trotzdem war es ein ausgezeichnetes Spiel. Sie spielten sich die Bälle ebenso präzise zu wie beim Tennis.
»Nein, danke, Jean«, sagte Malik zu dem Butler, der ihn bedienen wollte. »Wenn Madame es wünscht, gehen wir hinaus auf die Terrasse.« Dann zu seiner Frau:
»Oder fühlst du dich müde? … In dem Fall wird mein Freund Maigret es dir nicht übelnehmen, wenn du dich zurückziehst. Du erlaubst doch, Jules? … Diese letzten Tage sind sehr hart für sie gewesen. Sie war ihrer Nichte sehr zugetan.«
Was stimmte da nicht? Die Worte waren beliebig, der Tonfall wirkte nichtssagend. Und dennoch hatte Maigret den Eindruck, hinter jedem Satz etwas Trübes oder Bedrohliches zu entdecken oder vielmehr zu wittern.
Starr aufgerichtet stand Madame Malik in ihrem weißen Kleid nun da, sah sie an, und Maigret hätte es aus einem unerfindlichen Grund nicht gewundert, sie auf dem schwarzweißen Marmorfliesen zusammenbrechen zu sehen.
»Wenn Sie gestatten«, stammelte sie.
Sie reichte ihm wieder die Hand, die er nur leicht berührte und kalt fand. Die drei Männer schritten durch die Fenstertür und befanden sich auf der Terrasse.
»Die Zigarren und den Cognac, Jean«, befahl der Hausherr.
Und geradeheraus an Maigret gewandt, fragte er:
»Bist du verheiratet?«
»Ja.«
»Kinder?«
»Das Glück blieb mir versagt.«
Ein leichtes Schürzen der Lippe, das Jean-Claude nicht entging, das ihn aber nicht verletzte.
»Setz dich, nimm eine Zigarre!«
Es waren mehrere Kisten gebracht worden, Havanna- und Manila-Zigarren, auch verschiedene Flaschen Weinbrand.
»Siehst du, der Kleine ähnelt seiner Großmutter. Er ist für keine zwei Pfennig ein Malik.«
Eine der Schwierigkeiten bei der Unterhaltung, eine der Sorgen Maigrets bestand darin, daß er sich nicht entschließen konnte, seinen früheren Mitschüler zu duzen.
»Haben Sie ihn erwischt?« fragte er schließlich zögernd. Und der andere verstand ihn falsch. Das war unangenehm. Ein zufriedener Glanz trat in seine Augen. Er glaubte offenbar, daß der ehemalige Kommissar von seinem Luxus beeindruckt war und nicht wagte, einen vertraulichen Ton anzuschlagen.
»Du kannst du zu mir sagen«, bemerkte er herablassend und rollte knisternd eine Zigarre zwischen seinen langen und gepflegten Fingern. »Wenn man gemeinsam den Hosenboden auf den Bänken des Gymnasiums blankgescheuert hat … Nein, ich habe ihn nicht erwischt und hatte auch gar nicht die Absicht, ihn zu erwischen …«
Er log. Man brauchte nur gesehen zu haben, wie er aus dem Zimmer rannte.
»Ich wollte lediglich wissen, wo er hinrannte … Er ist äußerst feinfühlig und für Eindrücke empfänglich wie ein Mädchen.
Als ich mich vor dem
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