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Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Maigret - 26 - Maigret regt sich auf

Titel: Maigret - 26 - Maigret regt sich auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ein Gesicht wie eine Messerklinge und helle Augen von einem nicht gerade sehr einnehmenden Grau.
    »Laß dich nicht verwirren, Jules. Du wirst das nachher begreifen … Sag mal, Jeanne, du kannst ganz offen sprechen, ist meine Schwiegermutter verrückt oder nicht?«
    Und Jeanne, die sich lautlos in ihren Filzpantoffeln bewegte, murmelte ohne Anteilnahme:
    »Ich mische mich nicht gerne in Ihre Familienangelegenheiten ein.«
    Schon sah sie Maigret mit weniger Sympathie, wenn nicht gar mißtrauisch an.
    »Also bleiben Sie oder gehen Sie mit ihm?«
    »Ich bleibe.«
    Malik blickte seinen früheren Mitschüler immer noch spöttisch an, als ob das alles zu einer hübschen Farce gehöre, deren Opfer Maigret war.
    »Du wirst hier schon dein Vergnügen haben, das versichere ich dir … Ich kenne nichts Lustigeres als die ›Auberge de l’Ange‹. Du hast den Engel gesehen, du bist auf ihn hereingefallen!«
    Fiel ihm plötzlich seine Trauer ein? Jedenfalls nahm er eine ernstere Miene an, um hinzuzufügen:
    »Wenn alles nicht so traurig wäre, könnten wir beide darüber lachen … Komm wenigstens mit bis zum Haus. Aber ja! Es muß sein … Ich werde dir alles erklären … Nur die Zeit für einen Aperitif, und du hast begriffen …«
    Maigret zögerte noch. Er stand unbeweglich da, riesig im Vergleich zu seinem Schulkameraden, der ebenso groß war wie er, aber von einer seltenen Schlankheit.
    Schließlich sagte er geradezu widerwillig:
    »Ich komme.«
    »Du wirst doch sicher mit uns essen? Ich behaupte nicht, daß es bei uns gegenwärtig sehr fröhlich zugeht, du weißt, der Tod meiner Nichte, aber …«
    Als sie aufbrachen, bemerkte Maigret Jeanne, die ihnen aus einer dunklen Ecke nachsah. Und er hatte den Eindruck, daß Haß in dem Blick lag, der auf der eleganten Gestalt von Ernest Malik lastete.

2
Der zweite Sohn des Steuereinnehmers
    Während die beiden Männer am Fluß entlangmarschierten, mußten sie den Eindruck erwecken, daß der eine den anderen an der Leine hielt und daß der sich knurrend und widerstrebend wie ein großer langhaariger Hund mitziehen ließ.
    Tatsächlich fühlte Maigret sich in seiner Haut nicht wohl. Schon in der Schule hatte er keinerlei Sympathie für den Steuereinnehmer empfunden. Außerdem graute ihm vor diesen aus der eigenen Vergangenheit aufgetauchten Leuten, die einem freundschaftlich auf die Schulter klopfen und einen duzen.
    Schließlich verkörperte Ernest Malik einen Menschenschlag, der ihm schon immer gegen den Strich gegangen war.
    Er schritt ungezwungen dahin, voller Behagen in seinem tadellos geschnittenen weißen Flanellanzug, mit seinem gepflegten Körper, glatt rasiert und mit trotz der Hitze trockener Haut. Er spielte bereits den großen Herrn, der einem armen Schlucker seine Besitzungen zeigt.
    In seinen hellen Augen schimmerte – wie früher schon – ein Fünkchen Ironie, ein flüchtiger Glanz, der sogar dem Knaben eigen gewesen war und der verkündete:
    ›Ich war dir überlegen und bin es noch … Ich bin einfach viel intelligenter als du!‹
    Die Seine, die einen leichten Bogen beschrieb, erstreckte sich weit zu ihrer Linken und war von Schilfrohr gesäumt. Rechts trennten niedrige Mauern, zum Teil recht alt, andere fast neu, die Straße von den Villengrundstücken.
    Es waren nicht viele: vier oder fünf, soweit der Kommissar das beurteilen konnte. Es waren stattliche Gebäude, von gepflegten Parks umgeben, deren Zufahrtsalleen man im Vorbeigehen von den Gittertoren aus sehen konnte.
    »Die Villa meiner Schwiegermutter, die kennenzulernen du heute das Vergnügen gehabt hast«, verkündete Malik, als sie ein breites Portal erreichten, auf dessen Säulen steinerne Löwen thronten. »Der alte Amorelle hat sie vor rund vierzig Jahren einem Finanzbaron des zweiten Kaiserreichs abgekauft.«
    Im Schatten der Bäume erkannte man ein gewaltiges Gebäude, das nicht besonders schön war, aber gediegen und reich wirkte. Wassersprenger netzten den Rasen, während ein alter Gärtner, der dem Katalog einer Samenhandlung entsprungen schien, die Alleen harkte.
    »Was hältst du von Bernadette Amorelle?« fragte Malik, drehte sich zu seinem früheren Mitschüler um und bohrte seinen boshaft-schelmisch funkelnden Blick in dessen Augen.
    Maigret wischte sich den Schweiß von der Stirn, und der andere schien sagen zu wollen:
    ›Armer Alter! Du hast dich nicht verändert! Du bist immer noch der tolpatschige Sohn eines Schloßverwalters! Grobes bäurisches Wesen. Naivität und ein bißchen

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