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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sein?«
    Wieder zögerte der Mann. Er schien heiser zu sein. Er brachte nur einen krächzenden Ton heraus, gab es dann auf und deutete mit dem Finger auf die Cognacflasche im Regal.
    Jetzt sah er vor allem Chevrier interessiert an. Es war da etwas, was er nicht begriff, was über seinen Verstand hinausging.
    Wieder trat Maigret Lucas seelenruhig auf den Fuß.
    Die Szene spielte sich in Sekundenschnelle ab, obwohl sie sehr lang zu dauern schien. Der Mann holte mit der linken Hand Geld aus der Tasche, während er mit der rechten das Glas an die Lippen führte und in einem Zug austrank.
    Der Schnaps reizte ihn zum Husten, und seine Augen tränten.
    Er warf ein paar Münzen auf die Theke und stürzte mit langen, hastigen Schritten davon. Sie sahen, wie er sich draußen in Richtung Quai de Bercy wandte und sich nochmals umdrehte.
    »Ihm nach!«, sagte Maigret, zu Lucas gewandt. »Aber pass auf, dass er dir nicht entwischt …«
    Lucas stürzte hinaus.
    »Schnell! Ruf ein Taxi!«, rief der Kommissar Chevrier zu.
    Der Quai de Bercy war lang und schnurgerade, ohne Querstraßen. Vielleicht konnte Maigret den Mann mit dem Wagen noch einholen, bevor er Lucas entwischte.

5
    Je schneller das Tempo der Verfolgung wurde, desto deutlicher hatte Maigret das Gefühl, dies alles zum zweiten Mal zu erleben. Das passierte ihm manchmal auch, wenn er träumte, und schon als Kind hatte er gerade diese Träume am meisten gefürchtet. Er bewegte sich in einer meist verworrenen Umgebung und hatte plötzlich das Gefühl, als wäre er schon einmal da gewesen, als hätte er dieselben Gesten vollführt, dieselben Worte gesprochen. Das machte ihn fast schwindlig, vor allem in Momenten, in denen er erkannte, dass er etwas erlebte, was er schon einmal erlebt hatte.
    Diese Menschenjagd, die am Quai de Charenton begonnen hatte, hatte er mit ihrem ganzen Auf und Ab zum ersten Mal von seinem Büro aus verfolgt, als die panikerfüllte Stimme des kleinen Albert von Stunde zu Stunde das Echo einer wachsenden Angst an ihn herantrug.
    Auch jetzt nahm die Angst zu. Der Mann, der mit großen, geschmeidigen Schritten den langen, menschenleeren Quai de Bercy entlangging, dicht an den Gittern vorbei, drehte sich von Zeit zu Zeit um und beschleunigte seinen Gang, als er sah, dass der kleine Lucas ihm nach wie vor auf den Fersen war.
    Maigret fuhr im Taxi, neben dem Chauffeur sitzend, hinter ihnen her. Wie verschieden die beiden Männer waren! Der Vordere hatte etwas Raubtierhaftes in Blick und Gang. Selbst wenn er zu laufen begann, blieben die Bewegungen harmonisch.
    Der dicke Lucas hingegen, der mit vorgeschobenem Bauch hinter ihm herlief, erinnerte an einen dieser unförmigen Straßenköter, die wie wandelnde Würste aussehen, aber die Wildschweinfährte besser aufspüren als die edelsten Jagdhunde.
    Jeder hätte gegen ihn und auf den Rothaarigen gesetzt. Und auch Maigret befahl dem Chauffeur, schneller zu fahren, als er sah, dass sich der Mann den menschenleeren Quai zunutze machte und vorwärtsstürmte. Doch das war überflüssig. Und das Seltsamste war, dass man Lucas nicht ansah, dass er lief. Wie ein braver Pariser Bürger, der seinen Spaziergang macht, schien er gemächlich dahinzuschlendern.
    Als der Unbekannte die Schritte hinter sich hörte und, halb den Kopf drehend, Maigret in dem Taxi bemerkte, das jetzt fast auf gleicher Höhe mit ihm war, erkannte er, dass es sinnlos war, weiterzuhetzen und damit auf sich aufmerksam zu machen, und er verfiel in ein normaleres Tempo.
    Sie sollten an diesem Nachmittag noch Tausenden Leuten auf den Straßen und Plätzen begegnen, und wie bei dem kleinen Albert ahnte niemand etwas von dem Drama, das sich hier abspielte.
    Schon am Pont d’Austerlitz blickte der Ausländer – denn in Maigrets Augen musste der Mann ein Ausländer sein – unruhiger um sich. Er ging weiter, den Quai Henri-IV hinunter. Er führte jetzt etwas im Schild, das merkte man ihm deutlich an. Und wirklich, als sie das Saint-Paul-Viertel erreichten – das Taxi folgte ihm immer noch –, verfiel er in Laufschritt, aber diesmal lief er in das Gewirr der engen Straßen zwischen der Rue Saint-Antoine und den Quais hinein.
    Um ein Haar hätte Maigret ihn aus den Augen verloren, weil ein Lastwagen eine der Gassen versperrte.
    Die spielenden Kinder auf den Gehsteigen blickten den beiden dahinrennenden Männern nach, und zwei Straßen weiter entdeckte Maigret die beiden endlich wieder. Lucas war kaum außer Atem; in seinem zugeknöpften Mantel sah er

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