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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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zu bringen.
    Der Mann schwitzte. Seine Nase lief. Von Zeit zu Zeit zog er ein großes grünes Taschentuch hervor. Und immer wieder verschwand er in einem Lokal, um weiterzutrinken, und bewegte sich fortwährend um ein von der Rue du Roide-Sicile, der Rue des Écouffes und der Rue de la Verrerie gebildetes Kernstück herum, in das er sich aber nicht hineinwagte.
    Er entfernte sich und kam dann, unwiderstehlich angezogen, zurück. Sein Schritt wurde langsamer, zögernder. Er drehte sich nach Lucas um. Dann hielt er nach dem Auto Ausschau, das er mit einem bösen Blick bedachte. Wer weiß? Wäre ihm das Taxi nicht auf den Fersen gewesen, hätte er vielleicht versucht, Lucas dadurch loszuwerden, dass er ihn in eine Ecke lockte, um ihn fertigzumachen.
    Je mehr die Dämmerung hereinbrach, desto belebter wurden die Straßen. Zwischen den niedrigen, düsteren Häusern schlenderten Spaziergänger dahin. Die Leute in diesem Viertel leben draußen, sobald der Frühling beginnt. Die Türen der Läden und die Fenster standen offen. Es roch penetrant nach Schmutz und Armut, und ab und zu sah man eine Frau, die Spülwasser auf die Straße goss.
    Lucas musste schon ganz erschöpft sein, obwohl er sich nichts anmerken ließ. Maigret wollte ihn bei der ersten Gelegenheit ablösen lassen. Er schämte sich ein wenig, weil er im Taxi hinterherfuhr, wie Gäste, die eine Hetzjagd im Auto verfolgen.
    An verschiedenen Straßenkreuzungen waren sie schon vier- oder fünfmal vorbeigekommen. Da versuchte der Mann eine neue List. Er verschwand in einer dunklen Toreinfahrt, und Lucas blieb am Eingang stehen. Maigret bedeutete ihm, ihm zu folgen.
    »Sei vorsichtig!«, rief er ihm vom Auto aus zu.
    Kurz darauf kamen die beiden Männer wieder heraus. Offensichtlich war der Ausländer in das erstbeste Haus hineingegangen, in der Hoffnung, seine Verfolger irrezuführen.
    Das machte er noch zweimal. Beim zweiten Mal fand ihn Lucas oben auf einer Treppe sitzend.
    Kurz vor sechs Uhr waren sie wieder an der Ecke Rue du Roi-de-Sicile und Rue Vieille-du-Temple, als bewegten sie sich in einem Irrgarten. Der Ausländer zögerte wieder einmal, dann verschwand er in der Straße, in der es von armen Leuten wimmelte. Man sah die Milchglaslampen mehrerer Hotels. Die Häuser waren schmal, und die Flure führten in verwunschene Innenhöfe.
    Er kam kaum zehn Meter weit. Da hallte plötzlich ein Schuss, ganz dumpf, nicht lauter als der Knall eines platzenden Autoreifens. Das Wogen der Menschenmenge auf den Straßen war so stark, dass es erst nach einigen Augenblicken verebbte. Fast war es, als hielte auch das Taxi wie von selbst, ganz erstaunt.
    Dann hörte man jemanden laufen. Lucas rannte los. Ein zweiter Schuss knallte. In dem dichten Gedränge konnte man nichts sehen. Maigret wusste nicht, ob der Inspektor getroffen war. Er war aus dem Wagen gestiegen und stürzte auf den Unbekannten zu.
    Er saß auf dem Gehsteig. Er war nicht tot. Er stützte sich auf eine Hand und hielt sich mit der anderen die Brust. Seine blauen Augen richteten sich mit vorwurfsvollem Ausdruck auf den Kommissar.
    Dann verschleierte sich sein Blick. Eine Frau sagte:
    »So ein Jammer!«
    Sein Oberkörper schwankte und fiel schräg auf das Pflaster. Der Mann war tot.
     
    Lucas kam unverrichteter Dinge, aber unverletzt zurück.
    Die zweite Kugel hatte ihn nicht getroffen. Der Flüchtende hatte versucht, ein drittes Mal zu schießen, aber seine Waffe musste eine Ladehemmung gehabt haben.
    Der Inspektor hatte ihn nur flüchtig gesehen und sagte:
    »Ich würde ihn nicht wiedererkennen. Aber ich glaube, er hatte braunes Haar.«
    Die Menge hatte, ohne es zu wollen, dem Mörder zur Flucht verholfen. Wie zufällig hatte man Lucas andauernd den Weg verstellt.
    Und jetzt umringten die Leute sie und nahmen eine missbilligende, ja beinahe drohende Haltung an. In diesem Viertel brauchten die Leute nicht lange, um Polizisten in Zivil zu erkennen.
    Da kam auch schon ein Polizist und drängte die Neugierigen beiseite.
    »Wir brauchen einen Krankenwagen«, brummte Maigret. »Aber pfeifen Sie erst zwei oder drei Ihrer Kollegen herbei.«
    Leise und mit sorgenvoller Miene gab er Lucas, den er mit dem Polizisten am Tatort zurückließ, Anweisungen. Dann sah er sich den Toten noch einmal an. Er hätte am liebsten gleich dessen Taschen durchwühlt, aber ein seltsames Schamgefühl hinderte ihn daran, es vor den Augen der Neugierigen zu tun. Es war eine allzu nüchterne, berufsmäßige Geste, die hier wie eine

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