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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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äußerst korrekt aus. Er hatte sogar die Geistesgegenwart, dem Kommissar zuzuzwinkern, als wollte er sagen:
    »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Er wusste noch nicht, dass diese Jagd, an der Maigret, bequem im Auto sitzend, teilnahm, Stunden dauern würde. Auch nicht, dass sie immer grausamer werden würde, je weiter die Zeit fortschritt.
    Von dem Augenblick an, als er telefoniert hatte, begann der Mann unsicher zu werden. Er hatte ein kleines Lokal in der Rue Saint-Antoine betreten, und Lucas war ihm gefolgt.
    »Wird er ihn verhaften?«, fragte der Chauffeur, der Maigret kannte.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Für ihn gab es keinen Zweifel, dass man einen Mann, den man verfolgt, auch festnimmt. Wozu sonst die Verfolgung, die unnötige Grausamkeit? Er reagierte genau wie ein Laie, der einer Hetzjagd zusieht.
    Ohne sich um den Inspektor zu kümmern, hatte sich der Ausländer eine Telefonmünze besorgt und war in der Zelle verschwunden. Durch die Scheiben des Lokals konnte Maigret beobachten, wie Lucas in der Zwischenzeit ein großes Glas Bier hinunterstürzte, was Maigret ebenfalls durstig machte.
    Das Telefongespräch dauerte lange, fast fünf Minuten. Zwei- oder dreimal blickte Lucas beunruhigt durch das Guckloch der Zelle, um sich zu vergewissern, dass seinem »Kunden« nichts zugestoßen war.
    Danach hatten sie nebeneinander an der Theke gestanden, ohne miteinander zu sprechen, wie zwei Fremde. Der Gesichtsausdruck des Mannes hatte sich verändert. Er sah verwirrt um sich und schien auf einen günstigen Moment zu warten, merkte aber wohl, dass diese Hoffnung vergeblich war.
    Schließlich zahlte er und ging. Er wandte sich der Bastille zu, ging fast ganz um den Platz herum und dann ein Stück den Boulevard Richard-Lenoir hinunter, bis kurz vor Maigrets Haus, bog aber dann rechts in die Rue de la Roquette ein.
    Wenige Minuten später hatte er in dem ihm offensichtlich fremden Viertel die Orientierung verloren. Zuerst sah es noch so aus, als dächte er an Flucht. Aber es waren zu viele Leute auf den Straßen, oder er sah an der nächsten Kreuzung einen Polizisten.
    Darauf fing er an zu trinken. Er ging in verschiedene Lokale, aber nicht um zu telefonieren, sondern um ein Glas schlechten Cognacs in einem Zug auszutrinken. Lucas jedoch hatte sich entschlossen, ihm nicht mehr in die Lokale zu folgen.
    In einer Kneipe sprach jemand den Mann an, und dieser schaute ihn an, ohne ihm zu antworten, als hätte man in einer fremden Sprache zu ihm gesprochen.
    Maigret verstand plötzlich, warum er gleich, als er in das ›Petit Albert‹ gekommen war, an einen Ausländer gedacht hatte. Nicht so sehr der Schnitt seines Anzugs oder die Gesichtszüge verrieten, dass er kein Franzose war. Es war viel eher seine Scheu, die Scheu eines Menschen, der nicht zu Hause ist, der die Sprache nicht versteht und sich nicht verständigen kann.
    Auf den Straßen war es sonnig und ganz mild. Conciergen hatten die Stühle vor die Tür gestellt, wie in einer kleinen Provinzstadt.
    Nach endlosen Umwegen erreichte der Mann den Boulevard Voltaire und die Place de la République, die ihm – endlich! – vertraut war.
    Er stieg zur Metro hinunter. Hoffte er immer noch, Lucas abzuhängen? Auf jeden Fall musste er gemerkt haben, dass sein Einfall keinen Erfolg hatte, denn Maigret sah die beiden Männer auf der anderen Seite wieder herauskommen.
    Rue Réaumur … Noch ein Umweg … Rue de Turbigo … Dann über die Rue Chapon zur Rue Beaubourg.
    ›Das ist sein Viertel‹, dachte der Kommissar.
    Man spürte das einfach. Man merkte an den Blicken des Ausländers, dass er hier auch den kleinsten Laden kannte. Vielleicht wohnte er in einem der vielen schäbigen Hotels.
    Er zögerte. Mehrmals blieb er an einer Straßenecke stehen. Irgendetwas hinderte ihn, das zu tun, was er gern getan hätte. Und so erreichte er schließlich die Rue de Rivoli, die so etwas wie die Grenze dieses armseligen Viertels bildet.
    Er überschritt sie nicht. Durch die Rue des Archives kehrte er in das Ghetto zurück und bog bald darauf in die Rue des Rosiers ein.
    ›Er will nicht, dass wir seine Adresse herausfinden.‹
    Aber warum und mit wem hatte er telefoniert? Hatte er Komplizen um Hilfe gebeten? Welche Hilfe konnte er von ihnen erhoffen?
    »Der arme Kerl tut mir leid«, seufzte der Chauffeur. »Sind Sie sicher, dass er ein Verbrecher ist?«
    Nein, Maigret war nicht sicher. Dennoch war er gezwungen, ihn zu verfolgen. Es war die einzige Chance, Licht in das Dunkel um Alberts Tod

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