Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Auseinandersetzungen gehabt. Sie sind mir gegenüber nicht immer korrekt gewesen. Wir haben uns nicht immer verstanden, aber das eine wird Ihnen jeder sagen können: Nie hat sich Chariot die Hände schmutzig gemacht!«
Das stimmte, wenn man darunter verstand, daß er nie jemand ermordet hatte. Er hatte wohl ein gutes Dutzend Strafen in seinem Register, aber für verhältnismäßig harmlose Vergehen.
»Wissen Sie, warum ich regelmäßig herkomme? Es gefällt mir hier, und Paul ist ein guter Freund von mir. Aber ich habe noch einen anderen Grund dafür. Sehen Sie dort in der linken Ecke den Spielautomaten? Der gehört mir, und ich habe wohl an die fünfzig von den Dingern, von Marseille bis St. Raphael. Das ist zwar nicht ganz gesetzlich, und hin und wieder machen mir die Messieurs Schwierigkeiten und beschlagnahmen mir einen oder zwei.«
Armer Mr. Pyke, der trotz seines gefühlvollen Herzens standhaft die kleinen Vögel aufgegessen hatte. Jetzt roch er mit sichtlichem Unbehagen den Knoblauch.
»Sie fragen sich, warum ich soviel rede, nicht wahr?«
»Ich habe mich noch nichts gefragt.«
»Das ist sonst auch nicht meine Art. Ich will es Ihnen trotzdem sagen. Hier, das heißt auf der Insel, gibt es zwei Menschen, auf die die Affäre zurückfallen muß: Emil und ich. Wir wissen beide genau, was gespielt wird. Die Leute sind sehr freundlich uns gegenüber, besonders weil wir immer Spendierhosen anhaben. Man zwinkert sich gegenseitig zu. Man sagt ganz leise:
›Das sind Verbrecher!‹ oder auch ›Guck dir den an, der ist gefährlich.‹ Und wenn sich’s auch nur um die winzigste Kleinigkeit handelt, immer werden wir gleich verdächtigt.
Ich habe das längst spitz, und deshalb habe ich mich ruhig verhalten. Freunde erwarten mich an der Küste, und ich habe nicht mal versucht, mit ihnen zu telefonieren. Ihr kleiner Inspektor, der solch ein liebes Kindergesicht hat, läßt mich nicht aus den Augen, und seit zwei Tagen juckt es ihn in allen Fingern, mich einzulochen. Nun, ich will’s Ihnen ganz einfach sagen, um Ihnen einen Schnitzer zu ersparen: das wäre nicht gerecht. Das ist alles, und im übrigen stehe ich Ihnen zu Diensten.«
Maigret wartete mit einem Zahnstocher im Munde, bis Chariot hinausgegangen war, ehe er seinen Kollegen von Scotland Yard leise fragte:
»Kommt das bei Ihnen auch manchmal vor, daß Sie sich von Ihren ›Kunden‹ welche anfreunden?«
»Nicht so ganz die gleichen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wir haben nicht viele Leute wie diesen Mann. Manches geht bei uns anders vor sich, verstehen Sie?«
Warum dachte Maigret an Mrs. Wilcox und ihren jungen Sekretär? Manches ging in der Tat anders vor sich.
»Zum Beispiel habe ich lange, man kann ruhig sagen, freundschaftliche Beziehungen zu einem berühmten Juwelendieb gehabt. Es gibt bei uns viele Juwelendiebe. Das ist ein wenig unsere nationale Spezialität. Es sind fast immer gebildete Menschen, die die besten Schulen besucht haben und in eleganten Klubs verkehren. Aber es ist für uns ebenso schwierig, diese Leute auf frischer Tat zu ertappen, wie für Sie, solche wie diesen Monsieur und den anderen, den er Monsieur Emil genannt hat, zu fassen. Vier Jahre lang habe ich mich an die Fersen eines solchen Diebes geheftet. Er wußte es. Es kam oft vor, daß wir zusammen in einer Bar einen Whisky tranken. Wir haben auch eine ganze Menge Partien Schach miteinander gespielt.«
»Und haben Sie ihn dann gefaßt?«
»Nein, nie. Wir haben schließlich ein Gentlemen’s Agreement geschlossen. Verstehen Sie diesen Ausdruck? Ich störte ihn so sehr, daß er im letzten Jahr keinen neuen Coup versuchen konnte und es ihm wirklich erbärmlich schlecht ging. Ich selber habe viel Zeit mit ihm verloren. Ich habe ihm geraten, seine Talente anderswo auszuprobieren.«
»Und ist er dann nach New York gefahren, um dort Juwelen zu stehlen?«
»Ich glaube, er ist in Paris«, bemerkte Mr. Pyke seelenruhig und ergriff seinerseits einen Zahnstocher.
Eine zweite Flasche Inselwein, den Jojo, ohne daß man ihn verlangt, gebracht hatte, war mehr als zur Hälfte leer.
Der Wirt erschien und sagte:
»Wie wär es mit einem Schnaps? Nach dem fetten Essen sollte man einen Schnaps trinken.«
Es war nicht sehr warm, ja fast kühl in dem Raum, während auf dem Platz die grelle Sonne schien und dichte Fliegenschwärme umhersummten.
Chariot hatte, wohl um besser zu verdauen, mit einem Fischer irgendein hier übliches Kartenspiel begonnen, und ein halbes Dutzend Männer sahen
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