Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
oder in einem der anderen Lokale.
Der Zahnarzt, weniger diskret als Mr. Pyke, starrte unverfroren auf Maigrets Pantoffeln und seinen seltsamen Aufzug, und sein befriedigtes Lächeln sagte unzweideutig:
»Ich hatte es Ihnen ja schon gesagt, es geht bereits los.«
Die Porquerolles-Krankheit natürlich, die ihm schon in den Knochen saß. Laut fragte er nur: »Gut geschlafen?«
Lechat, der schon an Bord war, ganz fiebrig von Ungeduld, kam noch einmal herunter, um mit dem Chef zu sprechen.
»Ich wollte sie nicht wecken. Kommt sie nicht? Baptist sagt, wenn sie nicht gleich erscheint, fährt das Schiff ohne sie ab.«
Noch andere fuhren mit, um an Marcellins Beerdigung teilzunehmen, Fischer im Sonntagsstaat, der Maurer und die Frau aus dem Tabakladen. Chariot war nirgends zu sehen, und dennoch hatte Maigret ihn eben noch auf dem Platz bemerkt. An Bord der ›North Star‹ rührte sich nichts. Im Augenblick, als der Stumme das Tau losmachen wollte, kam Ginette angerannt. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid und einen schwarzen Hut mit Schleier und roch meilenweit nach Parfüm. Mit affenartiger Geschicklichkeit zog man sie an Bord, und erst als sie sich hingesetzt hatte, erblickte sie den Kommissar auf dem Landungssteg und grüßte ihn mit einem Nicken.
Das Meer glänzte so, war so in Licht getaucht, daß die Augen davon geblendet wurden und alles vor ihnen verschwamm. Die ›Cormoran‹ zeichnete einen silbernen Schnörkel auf das Wasser. Die Leute blickten ihr noch ein Weilchen nach, wie sie es immer zu tun pflegten, dann schlenderten sie langsam dem Platz zu. Ein Fischer, der eben einen Tintenfisch mit seiner Harpune aufgespießt hatte, zog ihm die Haut ab, und die Fangarme rollten sich um seinen tätowierten Arm.
In der ›Arche‹ schenkte Paul, der frisch und ausgeschlafen aussah, hinter der Theke Weißwein aus, und Mr. Pyke, der sich inzwischen angezogen hatte, saß an einem Tisch und aß Eier mit Speck. Maigret trank ein Glas wie alle anderen, und ein wenig später, als er sich mit herunterhängenden Hosenträgern in seinem Zimmer am Fenster stehend rasierte, klopfte es an die Tür. Es war der Engländer.
»Störe ich Sie nicht? Darf ich hereinkommen?«
Er setzte sich auf den einzigen Stuhl, und dann schwiegen sie beide eine Weile.
»Ich habe einen Teil des Abends damit verbracht, mich mit dem Major zu unterhalten«, sagte Mr. Pyke schließlich. »Wissen Sie, daß er einer unserer berühmtesten Polospieler gewesen ist?«
Maigrets Reaktion auf diese Worte, genauer gesagt das Fehlen jeder Reaktion, enttäuschte ihn gewiß sehr. Aber der Kommissar hatte nur eine sehr vage Vorstellung vom Polo. Er wußte allenfalls, daß es zu Pferde betrieben wird und daß irgendwo im Bois de Boulogne oder in Saint Cloud ein sehr aristokratischer Poloklub existiert. Mr. Pyke ließ sich jedoch nichts anmerken und ging höflich darüber hinweg.
»Er ist nämlich nicht der älteste Sohn.«
Ihm schien das viel zu sagen. Erbt in England in den Adelsfamilien nicht der Älteste allein Titel und Vermögen, wodurch die anderen gezwungen sind, in der Armee oder Marine Karriere zu machen?
»Sein Bruder gehört dem Oberhaus an. Der Major ist in die Indienarmee eingetreten.«
Dieselbe Wirkung, nur in umgekehrter Richtung mußte es bei Mr. Pyke haben, wenn Maigret in Andeutungen von Leuten wie Chariot, Emil oder Ginette sprach. Aber sein englischer Kollege war geduldig und setzte mit vollendeter Diskretion die Tüpfelchen auf das i, als wollte er gar nicht daran rühren.
»Wer einen Namen hat, verschmäht es, in London zu bleiben, wenn er nicht über die Mittel verfügt, um dort eine Rolle spielen zu können. Bei der Indienarmee kann man vor allem der Pferdeleidenschaft frönen. Wenn man Polo spielt, muß man einen Reitstall mit mehreren Ponys haben.«
»War der Major nie verheiratet?«
»Die jüngeren Söhne verheiraten sich selten. Hätte Bellam eine Familie gegründet, hätte er auf die Pferde verzichten müssen.«
»Er hat sich also für die Pferde entschieden.«
Für Mr. Pyke schien das ganz und gar nicht erstaunlich.
»Abends treffen sich in England die Junggesellen im Klub und haben keine andere Zerstreuung als das Trinken. Der Major hat viel getrunken in seinem Leben. In Indien war es der Whisky. Erst hier hat er sich den Champagner angewöhnt.«
»Hat er Ihnen gesagt, warum er sich in Porquerolles niedergelassen hat?«
»Er hat eine böse Katastrophe erlebt, das Schlimmste, was ihn treffen konnte. Er ist nämlich
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