Maigret - 31 - Mein Freund Maigret
Ironie zu verbergen. Man sah den Bürgermeister, immer noch im langen grauen Kittel, seinen Handwagen vor sich herschiebend, zum Hafen hinunterkommen. Der Hausdiener vom ›Grandhotel‹ war ebenfalls da und ebenso der Briefträger mit Dienstmütze.
Die ›Cormoran‹ befand sich jetzt genau auf der Mitte der Strecke und würde in einer Viertelstunde die Landestelle erreichen.
»Haben Sie ein langes Gespräch mit dem alten Benoit gehabt?«
»Als ich Sie vorhin bei der Hütte sah, habe ich mir schon gedacht, daß Sie mich das fragen würden. Sie werden Benoit auch vernehmen, ich kann Sie nicht daran hindern, aber ich kann Ihnen im voraus sagen, er weiß nichts. Wenigstens glaube ich das verstanden zu haben, denn er spricht ein so merkwürdiges Kauderwelsch. Immerhin, vielleicht haben Sie mehr Glück als ich.«
»Wollen Sie etwas herausbekommen?«
»Vielleicht dasselbe wie Sie.«
Es war fast eine Herausforderung, die ihm Chariot da seelenruhig ins Gesicht schleuderte.
»Wie kommen Sie darauf, daß das Sie interessieren könnte? Hat Marcellin mit Ihnen gesprochen?«
»Nicht mehr als mit den anderen. Er war immer ein wenig verlegen mir gegenüber. Solche kleinen Stümper fühlen sich vor denen, die ihr Handwerk verstehen, nie ganz wohl in ihrer Haut.«
Maigret ging auf den leichten Ton ein, als spräche man von ganz harmlosen Dingen.
»Wissen Sie, warum Marcellin ermordet worden ist, Chariot?«
»Ich weiß darüber ungefähr so viel wie Sie. Und ich ziehe wahrscheinlich dieselben Schlüsse daraus, aber zu anderen Zwecken.«
Er lächelte und blinzelte in die Sonne.
»Hat Jojo mit Ihnen gesprochen?«
»Mit mir? Hat man Ihnen nicht berichtet, daß wir wie Hund und Katze zueinander stehen?«
»Haben Sie ihr etwas getan?«
»Sie hat nicht gewollt. Und eben darum sind wir spinnefeind.«
»Ich überlege, Chariot, ob Sie nicht besser täten, nach Pont du Las zurückzukehren.«
»Ich danke Ihnen schön für den guten Rat, aber ich bleibe lieber hier.«
Ein Ruderboot stieß von der ›North Star‹ ab: es war Moricourt, der die Ruder ergriff. Er befand sich ganz allein in dem Boot. Gewiß kam er wie die anderen zur Ankunft der ›Cormoran‹ und würde dann zur Post gehen, um die für ihn eingegangenen Sendungen abzuholen.
Chariot, der in die gleiche Richtung blickte wie Maigret, schien auch den gleichen Gedanken zu haben wie er. Als der Kommissar sich zu dem Schiff des Holländers umgedreht hatte, sagte Chariot: »Das ist ein merkwürdiger Kerl, aber ich glaube nicht, daß er es war.«
»Sie meinen, der Mörder Marcellins?«
»Man kann Ihnen nichts verbergen, aber ich will Ihnen sagen, der Mörder an sich interessiert mich überhaupt nicht. Außer bei einer Schlägerei tötet man doch nicht jemand ohne Grund, nicht wahr? Und schon ganz und gar nicht, wenn derjenige jedem, der es hören will, laut verkündet, er sei Kommissar Maigrets Freund.«
»Waren Sie in der ›Arche‹, als Marcellin von mir gesprochen hat?«
»Alle waren da, ich meine, alle, mit denen Sie sich jetzt beschäftigen. Und Marcellin sprach, zumal er einige Gläser getrunken hatte, mit einer ganz schön lauten Stimme.«
»Wissen Sie, warum er das gerade an dem Abend sagte?«
»Sie haben’s getroffen, Stellen Sie sich vor, das ist die erste Frage, die ich mir gestellt habe, als ich von seiner Ermordung hörte. Ich habe mich gefragt, an wen die Worte des armen Burschen gerichtet waren. Verstehen Sie?«
Maigret verstand vollkommen. »Haben Sie eine befriedigende Antwort gefunden?«
»Noch nicht. Hätte ich sie gefunden, würde ich mit dem nächsten Schiff nach Pont du Las zurückkehren.«
»Es ist mir ganz neu, daß Sie den Privatdetektiv spielen.«
»Sie scherzen, Kommissar.«
Maigret versuchte immer noch beharrlich, mit harmloser Miene den anderen dazu zu bringen, etwas zu sagen, was er lieber verschweigen wollte. Es war ein seltsames Spiel, dort auf dem sonnigen Landungssteg mit Mr. Pyke als streng neutralem Schiedsrichter.
»Sie gehen jedenfalls von dem Gedanken aus, daß Marcellin nicht ohne Grund ermordet worden ist.«
»Ja, so ist es.«
»Sie vermuten, daß sein Mörder sich etwas aneignen wollte, was Marcellin besaß.«
»Wir vermuten das beide nicht, weder Sie noch ich, sonst wäre Ihr Ruf nämlich weiß der Teufel übertrieben.«
»Man hat ihn zum Schweigen bringen wollen?«
»Heiß, heiß, Sie verbrennen sich, Kommissar.«
»Hatte er etwas entdeckt, was jemand in Gefahr brachte?«
»Warum wollen Sie durchaus
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