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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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einen Sprung tat und daß ich in diesem Augenblick etwas wie Siegestrompeten in meinen Ohren schmettern hörte.
    Mit einem Schlag, an einem Vormittag, der eigens dafür geschaffen schien – und ich bin nicht sicher, daß Guichard es nicht so eingerichtet hat –, war der Traum meines Lebens wahr geworden.
    Ich trat endlich in die Sonderbrigade ein.
    Eine Viertelstunde später zog ich mit meinem alten Bürokittel, meiner Seife, meiner Mappe, meinen Bleistiften und Papieren in die obere Etage um.
    In dem großen Raum, wo das Morddezernat untergebracht war, saßen fünf, sechs Inspektoren. Kommissar Guillaume ließ mir wie einem neuen Schüler Zeit, mich an meinem Platz häuslich einzurichten, ehe er mich zu sich bestellte.
    »Trinken wir eins darauf?«
    Natürlich sagte ich nicht nein. Stolz führte ich mittags meine neuen Kollegen in die Brasserie Dauphine.
    Ich hatte sie dort oft gesehen, an einem anderen Tisch, abseits von unserer Runde, und meine früheren Kameraden und ich hatten sie immer mit dem neidvollen Respekt beobachtet, den man im Gymnasium den Primanern zollt, weil sie schon so groß wie die Professoren sind und von diesen fast als ihresgleichen behandelt werden.
    Ein passender Vergleich, denn Guillaume saß mit uns am Tisch, und später kam noch der Kommissar von der Informationsabteilung hinzu.
    »Was trinken Sie?« fragte ich.
    In unserer Ecke pflegten wir Bier zu trinken, in seltenen Fällen einen Aperitif. Es war anzunehmen, daß an dem Inspektorentisch andere Sitten herrschten.
    Jemand sagte:
    »Mandarin-Curaçao.«
    »Curaçao für alle?«
    Da kein Einwand kam, bestellte ich Gott weiß wie viele Mandarin-Curaçaos. Ich trank den Likör zum erstenmal. In meinem Siegesrausch empfand ich ihn als reichlich harmlos.
    »Noch eine Runde?«
    Jetzt oder nie war dies der Augenblick, mich splendid zu zeigen. Wir tranken ein drittes Glas, wir tranken ein viertes Glas. Auch mein neuer Chef wollte eine Runde bezahlen.
    Die ganze Stadt war in Sonnenlicht getaucht. Die Straßen liefen über von Sonne. Die Frauen in ihren hellen Kleidern waren allesamt märchenhaft schön. Ich glitt durch die Menge. Ich betrachtete mich in den Schaufenstern und fand mich gar nicht so dick.
    Ich lief. Ich flog. Ich jubilierte. Schon am Fuß der Treppe setzte ich zu meiner Ansprache an, die ich für meine Frau vorbereitet hatte.
    Und fiel auf den letzten Stufen der Länge nach hin. Ich hatte noch nicht Zeit gehabt, mich wieder aufzurappeln, als unsere Tür aufging. Louise mußte sich Sorgen gemacht haben, weil ich so spät kam.
    »Hast du dir weh getan?«
    Komisch, genau in dem Moment, da ich mich erhob, fühlte ich mich vollständig betrunken. Ich konnte es nicht begreifen. Die Treppe drehte sich um mich. Die Silhouette meiner Frau verschwamm vor meinen Augen. Ich sah mindestens zwei Münder und drei oder vier Augen in ihrem Gesicht.
    Man mag es glauben oder nicht, aber es war das erste Mal in meinem Leben, daß mir das passierte, und ich fühlte mich so gedemütigt, daß ich sie nicht anzuschauen wagte; wie ein armer Sünder schlich ich mich in die Wohnung, und alle die schönen Sätze, die ich vorbereitet hatte, waren meinem Gedächtnis entfallen.
    »Ich glaube … Ich glaube, ich bin ein wenig betrunken …«
    Nicht einmal mehr schnuppern konnte ich. Auf dem Tisch am offenen Fenster lagen unsere beiden Gedecke in traulichem tête-à-tête. Ich hatte sie zum Mittagessen in ein Restaurant einladen wollen, doch jetzt brachte ich den Mut dazu nicht mehr auf.
    Und so kam es, daß ich fast mit Grabesstimme verkündete:
    »Es ist soweit!«
    »Was denn?«
    Vielleicht war sie schon darauf gefaßt, daß man mich bei der Polizei hinausgeschmissen hatte.
    »Ich bin versetzt worden.«
    »Versetzt? Wohin?«
    Ich soll, scheint’s, dicke Tränen der Reue, aber auch der Freude in den Augen gehabt haben, als ich erklärte:
    »In die Mordkommission.«
    »Mach es dir bequem! Ich bringe dir einen guten schwarzen Kaffee.«
    Sie wollte unbedingt, daß ich mich hinlegte, aber ich dachte nicht daran, meinen neuen Posten schon am ersten Tag im Stich zu lassen. Ich weiß nicht, wie viele Tassen Kaffee ich getrunken habe, aber trotz allem Drängen meiner Frau brachte ich keinen festen Bissen hinunter. Ich ging unter die Dusche.
    Um zwei Uhr machte ich mich auf den Weg zum Quai des Orfèvres mit einem eigentümlich rosafarbenen Gesicht und fiebrigen Augen. Ich fühlte mich schlapp. Mein Kopf war leer.
    Ich ließ mich in meiner Ecke nieder und sprach so

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