Maigret - 35 - Maigrets Memoiren
wenig wie möglich, weil ich wußte, daß meine Stimme unsicher klang und daß mir die Silben durcheinandergeraten würden.
Am folgenden Tag wurde ich, als wollten sie mich auf die Probe stellen, zu meiner ersten Verhaftung losgeschickt. Es war in der Rue du Roi-de-Sicile, in einer Fremdenpension. Der Mann war seit fünf Tagen beschattet worden. Auf sein Konto gingen mehrere Morde. Er war Ausländer, Tscheche, wenn ich nicht irre, ein gewalttätiger Kerl, ständig bewaffnet, ständig auf dem Sprung.
Es ging darum, ihn kampfunfähig zu machen, ehe er Zeit fand, sich zu wehren, denn er gehörte zu der Sorte Männer, die wild drauflos schießen und noch möglichst viele Menschen umbringen, ehe es ihnen selbst an den Kragen geht.
Er wußte, er war in die Enge getrieben, die Polizei war ihm auf den Fersen, wartete nur den günstigen Augenblick ab.
Auf der Straße richtete er es stets so ein, daß er sich mitten in der Menge bewegte, denn daß wir die Passanten nicht gefährden konnten, wußte er so gut wie wir.
Sie gaben mir Inspektor Dufour mit, weil er sich seit Tagen mit dem Verbrecher befaßt hatte und über sein Kommen und Gehen genau Bescheid wußte.
Ich verkleidete mich – und auch das geschah zum erstenmal in meinem Leben. Wären wir in unserer gewohnten Kleidung in der schäbigen Pension erschienen, hätten wir nur Panik ausgelöst und unserem Mann damit eine Chance gegeben, zu türmen.
Dufour und ich hüllten uns also in alte Lumpen. Um noch glaubwürdiger zu wirken, hatten wir uns zwei Tage lang nicht rasiert.
Ein auf Türschlösser spezialisierter junger Inspektor hatte sich in die Pension eingeschlichen und einen tadellosen Zimmerschlüssel für uns angefertigt.
Wir bezogen unser Quartier auf derselben Etage, kurz bevor der Tscheche abends zurückkehrte. Wenige Minuten nach elf wurde uns von der Straße aus signalisiert, daß er die Treppe heraufkam.
Der Plan, nach dem wir vorgingen, stammte nicht von mir; der dienstältere Dufour hatte ihn ausgeheckt.
Der Tscheche sperrte sich in seinem Zimmer ein, legte sich angekleidet auf das Bett und hatte mindestens einen geladenen Revolver griffbereit neben sich liegen.
Wir schliefen nicht. Wir warteten auf die Morgendämmerung. Wenn Sie mich fragen warum, so werde ich antworten, wie mein Kollege mir damals antwortete, als ich ihm ungeduldig die gleiche Frage stellte.
Sobald der Mörder uns hörte, würde er im ersten Reflex die Gaslampe zerschlagen, die in seinem Zimmer brannte. Wir würden im Finstern stehen und ihm dadurch einen Vorteil verschaffen.
»In den ersten Morgenstunden ist ein Mensch immer weniger widerstandsfähig«, behauptete Dufour. Wie recht er hatte, wurde mir bald darauf bestätigt.
Wir schlichen uns auf Zehenspitzen durch den Flur. Rings um uns schlief alles. Unendlich vorsichtig drehte Dufour den Schlüssel im Schloß.
Da ich der Größere und Schwerere von uns beiden war, mußte ich als erster eindringen, und das tat ich denn auch. Mit einem Sprung landete ich bäuchlings auf dem liegenden Mann und packte ihn, wo immer ich ihn zu fassen kriegte.
Ich weiß nicht, wie lange der Kampf gedauert hat, aber er schien kein Ende zu nehmen. Ich spürte, wie wir zu Boden rollten. Ich sah dicht vor mir ein verzerrtes Gesicht. Ich erinnere mich besonders deutlich an sehr große, blendend weiße Zähne. Eine Hand hatte sich in mein Ohr gekrallt und versuchte es abzureißen.
Was mein Kollege tat, konnte ich nicht sehen, aber plötzlich trat ein Ausdruck des Schmerzes, der Wut in das Gesicht meines Gegners. Als ich mich umwenden konnte, saß Inspektor Dufour mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, einen Fuß des Mannes in den Händen, und ich hätte schwören können, daß er ihn mindestens zweimal umgedreht hatte.
»Handschellen!« befahl er.
Ich hatte sie schon harmloseren Individuen und auch widerspenstigen Straßendirnen angelegt. Dies war das erste Mal, daß ich eine Verhaftung auf so brutale Weise vornahm und daß das Klicken der Handschellen das Ende eines Kampfes bedeutete, der für mich übel hätte ausgehen können.
Wenn jemand von der Spürnase eines Polizisten spricht, von seinen Methoden, seiner Intuition, dann möchte ich immer entgegnen:
»Und was ist mit der Spürnase Ihres Schusters, Ihres Bäckers?«
Der eine wie der andere hat eine lange Lehrzeit hinter sich. Er kennt sich aus in seinem Beruf, mit allem, was dazugehört.
Genauso verhält es sich mit einem Mann vom Quai des Orfèvres. Und deshalb sind alle Geschichten, die
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