Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
sehen, es ist ganz einfach. So einfach, daß ich es immer noch nicht fassen kann. Zuerst hörte ich ein leises Geräusch, wie ein Schlüssel, der sich im Schloß dreht. Ich verhielt mich ganz still, legte mich aber so hin, daß ich in den Salon hineinschauen konnte. Jemand kam herein, ging durch die Diele und öffnete die zweite Tür. Es war der Professor, der übrigens länger und dünner ist, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er trug einen langen, dunklen Überzieher und einen Wollschal um den Hals, hatte den Hut auf und hielt die Handschuhe in der Hand.«
»Was tat er?«
»Das ist es ja eben! Wenn ich Ihnen das nur erklären könnte! Er tat nämlich gar nichts. Er machte ein paar Schritte, langsam, wie jemand, der nach Hause kommt. Einen Augenblick fragte ich mich, was er denn so anstarre, und dann merkte ich, daß es meine Schuhe waren, die ich auf dem Teppich stehengelassen hatte. Er drehte sich um, erblickte mich und runzelte die Brauen. Nur ganz leicht. Er war nicht etwa überrascht. Er sah auch nicht verlegen oder erschreckt aus.
Dann sah er mich an, wie jemand, dessen Gedanken ganz woanders sind und der nicht gleich in die Wirklichkeit zurückfindet. Und dann stellte er mir ganz gelassen die Frage: ›Sind Sie von der Polizei?‹
Ich war so überrascht von seinem Benehmen, von seiner ganzen Erscheinung, daß ich nur nicken konnte.
Eine Zeitlang standen wir uns wortlos gegenüber. Er starrte unentwegt auf meine Füße, und ich hatte das Gefühl, er nahm mir meine Ungeniertheit übel. Aber vielleicht habe ich mir das eingebildet. Vielleicht achtete er gar nicht auf meine Füße.
Schließlich brachte ich die Frage heraus:
›Was wollen Sie hier, Herr Professor?‹
›Sie wissen also, wer ich bin?‹
Dieser Mann gibt einem das Gefühl, daß man selber gar nichts ist. Sogar wenn er einem in die Augen sieht, schenkt er einem kaum mehr Beachtung als irgendeiner Blume auf der Tapete.
›Ich wollte nur einen Blick hereinwerfen, weiter nichts‹, hat er schließlich gemurmelt.
Er hat dann auch wirklich noch einen Blick auf das Sofa geworfen, auf dem noch die Decke und das Kissen lagen, die ich benützt hatte. Dann hat er den Kaffeegeruch eingesogen.
Und mit der gleichen unbeteiligten Stimme hat er schließlich hinzugefügt:
›Es wundert mich, daß Ihr Chef nicht so neugierig war, mich sprechen zu wollen. Sie können ihm ausrichten, junger Mann, daß ich ihm zur Verfügung stehe. Ich fahre jetzt ins Krankenhaus Cochin und bleibe dort bis elf Uhr. Vor dem Mittagessen muß ich noch in die Klinik Saint-Joseph, und am Nachmittag habe ich eine schwierige Operation im Amerikanischen Spital in Neuilly.‹
Er hat sich dann noch einmal im ganzen Raum umgesehen. Dann hat er sich umgedreht und beim Hinausgehen beide Türen hinter sich geschlossen.
Ich habe das Fenster geöffnet und habe ihm nachgeschaut. Unten vor dem Haus stand ein Taxi, und auf dem Gehsteig wartete eine junge Frau mit einer schwarzen Aktentasche unterm Arm. Sie hat ihm den Wagenschlag geöffnet und ist dann nach ihm ins Auto gestiegen.
Wahrscheinlich ruft sie ihn von der Portiersloge aus an, wenn sie ihn morgens abholt. Das ist alles, Chef.«
»Danke, Janvier.«
»Glauben Sie, daß er reich ist?«
»Es heißt, daß er viel Geld verdient. Arme Patienten operiert er gratis, aber wenn er sich bezahlen läßt, verlangt er Unsummen. Warum fragst du?«
»Weil ich in der Nacht, als ich nicht schlafen konnte, ein Verzeichnis von den Habseligkeiten des Mädchens gemacht habe. Ich hatte erwartet, ganz andere Dinge zu finden.
Es sind zwar zwei Pelzmäntel vorhanden, aber sie sind beide von schlechter Qualität; der eine davon ist aus billigem Schaffell. Kein einziger Gegenstand, weder Wäsche noch Schuhe, der aus einem guten Laden stammt. Es ist zwar bestimmt nicht das, was sie früher in Barbès-Viertel zu tragen pflegte, aber die Kleider einer Frau, die sich von einem reichen Mann aushalten läßt, sind es eben auch nicht. Ich habe auch kein Scheckheft oder sonst irgendein Papier gefunden, das auf ein Bankkonto schließen läßt. Dabei sind in ihrer Handtasche nur ein paar Tausendfrancscheine und zwei andere in der Nachttisch-Schublade.«
»Ich glaube, du kannst jetzt wieder herkommen. Hast du einen Schlüssel?«
»In ihrer Handtasche ist einer, glaube ich.«
»Schließ die Tür ab und laß einen Bindfaden oder sonst irgend etwas stecken, damit wir wissen, ob sie jemand geöffnet hat. Die Putzfrau ist nicht mehr gekommen?«
Er hatte vergessen
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