Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht
Wechsel zu bezahlen, der am darauffolgenden Tag fällig war. Außerdem standen sie bei den Händlern des Viertels in der Kreide, was bei ihnen allerdings regelmäßig der Fall war.
Als der Untersuchungsrichter Meurant einige Tage später aufgefordert hatte, sich einen Anwalt zu nehmen, hatte der Bilderrahmer eingewendet, er könne ihn nicht bezahlen. Aus diesem Grund war Pierre Duché als Pflichtverteidiger benannt worden.
Von welchem Geld hatte Ginette Meurant seitdem gelebt? Soweit der Polizei bekannt war, die ihre Post überwachte, hatte sie keine Zahlungsanweisungen erhalten. Anscheinend hatte sie auch keine Schecks eingelöst. Selbst wenn sie nicht viel ausgegeben und zurückgezogen in ihrer Wohnung gelebt hatte, so musste sie doch etwas essen, und vor dem Prozess hatte sie sich den Rock und den schwarzen Mantel gekauft, den sie bei der Gerichtsverhandlung trug.
Musste man annehmen, dass sie ohne Wissen ihres Mannes Geld angespart hatte, das sie wie manche Frauen vom Haushaltsgeld abzweigte?
Lamblin hatte sich bei Gericht an sie herangemacht. Der Rechtsanwalt witterte offenbar bereits, dass es zu einer sensationellen Wiederaufnahme des Prozesses kommen würde und dass es eine gute Werbung für ihn wäre, wenn er dann die junge Frau verteidigte.
Vielleicht täuschte sich Maigret, aber er war überzeugt, dass Ginette Meurant nicht in die Rue Monsieur-le-Prince gefahren war, um sich einen Rat zu holen, sondern um sich Geld zu beschaffen.
Lamblins Ruf rechtfertigte die Annahme, dass er sie finanziell unterstützte, aber immer nur häppchenweise. Und mit ziemlicher Sicherheit hatte er ihr auch geraten, Paris nicht zu verlassen und sich bis auf weiteres ruhig zu verhalten.
Es war kein Zufall, dass Ginette Meurant das Montparnasse-Viertel ausgesucht hatte. Weder Meurant noch sie hatten dort gewohnt oder verkehrt, und es war deshalb anzunehmen, dass Gaston seine Frau nicht in dieser Gegend suchen würde.
Der Kommissar kehrte in die friedliche Atmosphäre seiner Wohnung zurück, aß mit seiner Frau zu Mittag, und als er um zwei Uhr wieder sein Büro betrat, berichtete ihm Janvier telefonisch, dass Meurant zu Hause war und alles ruhig war.
Er hatte noch einen unangenehmen Fall mit dem Leiter der Kriminalpolizei zu besprechen, in den Politiker verwickelt waren, und es war vier Uhr, als Janvier erneut anrief.
»Da tut sich was, Chef. Ich weiß noch nicht, was passieren wird, aber es wird bestimmt irgendeine Überraschung geben. Er ist um Viertel vor drei mit riesigen Paketen aus dem Haus gekommen. Obwohl er so schwer bepackt war, hat er sich kein Taxi gerufen. Er ist allerdings auch nicht weit gegangen. Kurz darauf hat er in einen Trödlerladen am Boulevard de Ménilmontant betreten und dort lange mit dem Händler verhandelt.«
»Hat er dich gesehen?«
»Vermutlich. Es war schwer, mich zu verstecken, denn es war außer mir fast niemand auf der Straße. Er hat seine Uhr verkauft, das Grammophon, die Schallplatten und einen Stapel Bücher. Dann ist er nach Hause gegangen und kam wieder mit einer riesigen Ladung Sachen heraus, die er in ein Bettlaken gestopft hatte.
Er ist noch einmal zu dem Trödler zurück und hat ihm Wäsche, Bestecke und Kerzenständer aus Messing verkauft. Jetzt ist er wieder zu Hause. Aber ich glaube nicht, dass er da lange bleiben wird.«
Tatsächlich meldete sich Janvier bereits fünfzig Minuten später erneut am Telefon.
»Er ist zum dritten Mal aus dem Haus gekommen und ist zu einem Bilderrahmengeschäft am Faubourg Saint-Antoine gegangen. Nach einem längeren Gespräch hat der Besitzer ihn in seinem Lieferwagen mitgenommen. In der Rue de la Roquette haben sie angehalten, gegenüber von dem Geschäft, das Sie ja kennen.
Sie haben einen Rahmen nach dem anderen begutachtet. Dann hat der Mann vom Faubourg Saint-Antoine ein paar Bilderrahmen in sein Auto geladen und Meurant Geld überreicht.
Eines hab ich noch vergessen: Er hat sich rasiert. Ich weiß nicht, was er in seiner Werkstatt macht, aber ich habe das Auto ganz in der Nähe, für den Fall …«
Um sechs Uhr erhielt Maigret den letzten Anruf von Janvier, der jetzt von der Gare de Lyon aus telefonierte.
»Sein Zug geht in zwölf Minuten, Chef. Er hat eine Fahrkarte zweiter Klasse nach Toulon gekauft. Er hat nur einen kleinen Aktenkoffer bei sich. Im Augenblick trinkt er einen Cognac an der Bar; ich sehe ihn durch die Scheibe der Telefonzelle.«
»Schaut er zu dir rüber?«
»Ja.«
»Welchen Eindruck macht er?«
»Er scheint
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