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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ihn schon mal auf alle Fälle ins Labor … Die sollen den Paraffintest mit ihm machen … Der beweist zwar nichts, weil das Verbrechen schon fast zwei Tage zurückliegt, aber auf diese Weise ersparen wir uns alle möglichen unangenehmen Fragen …«
    Innerhalb einer Viertelstunde würde sich herausstellen, ob Ricain Pulverspuren an den Fingern hatte. Wenn dem nicht so war, ließ sich zwar noch nicht mit Sicherheit sagen, dass er nicht geschossen hatte, aber es wäre ein Pluspunkt für ihn.
    »Hallo? … Ach, du bist’s! … Es tut mir wirklich sehr leid … Natürlich. Ich hatte viel zu tun, sonst wäre ich zum Mittagessen nach Hause gekommen … Aber ja, natürlich habe ich gegessen, ein Steak und Pommes frites, in Gesellschaft eines überaus erregten jungen Mannes … Als wir ins Restaurant reingingen, hatte ich die feste Absicht, dich anzurufen, aber unser Gespräch hat mich so in Anspruch genommen, dass ich es einfach vergessen habe, ich geb’s zu … Du bist mir doch nicht böse? … Nein, das weiß ich noch nicht … Mal sehen …«
    Er konnte noch nicht genau sagen, ob er zum Abendessen zu Hause sein würde oder nicht. Vor allem, weil dieser François Ricain ein so unberechenbarer Bursche war und seine Stimmung von einer Sekunde auf die andere umschlug.
    Es wäre Maigret sehr schwergefallen, eine Meinung über ihn abzugeben. Auf jeden Fall war er intelligent, sogar hochintelligent. Manche seiner Antworten gaben das deutlich zu erkennen. Gleichzeitig hatte er aber auch etwas Naives, Kindliches in seinem Wesen.
    Wie hätte er sich in diesem Moment überhaupt schon ein Urteil über ihn bilden können? Er war körperlich und geistig in einem jämmerlichen Zustand, nervlich völlig am Ende, hilflos seinen ambivalenten Gefühlen ausgeliefert.
    Wenn er seine Frau nicht getötet und wirklich mit dem Gedanken gespielt hatte, nach Belgien oder anderswohin zu flüchten, dann musste er seine Lage als völlig aussichtslos betrachtet haben, aber die Klaustrophobie, die er im Gespräch erwähnt hatte, bot hierfür keine ausreichende Erklärung.
    Vermutlich hatte er die Gestaltung des Appartements selbst entworfen und auch ausgeführt: das schwarze Parkett, der rote Anstrich der Decke und der Wände, dazu die kalkweißen Möbel, die gleichsam im Raum zu schweben schienen.
    Man hatte dort das Gefühl, dass der Fußboden unter einem nachgab, dass die Wände sich zusammenzogen oder zurückwichen wie in einem Filmstudio, dass die Kommode, das Sofa, der Tisch und die Stühle nur Pappmachéattrappen waren.
    Wirkte nicht auch Ricain wie eine Attrappe? Maigret malte sich aus, was für Gesichter der stellvertretende Staatsanwalt oder der Untersuchungsrichter Camus ziehen würden, wenn sie die Reden des jungen Mannes im Café an der Avenue La Motte-Picquet und dann in dem kleinen Restaurant, wo nur Stammgäste verkehrten, in vollem Wortlaut zu lesen bekämen.
    Er fragte sich, was Doktor Pardon wohl von ihm halten würde.
    Ricain kam zurück, gefolgt von Torrence.
    »Und?«
    »Negativ …«
    »Ich habe noch nie in meinem Leben geschossen, außer auf einem Jahrmarkt … Ich weiß ja nicht einmal, wie man die Pistole entsichert …«
    »Setzen Sie sich …«
    »Haben Sie schon mit dem Richter gesprochen?«
    »Ja, mit dem Untersuchungsrichter und auch mit dem stellvertretenden Staatsanwalt …«
    »Was haben sie entschieden? … Werde ich verhaftet? …«
    »Jetzt haben Sie dieses Wort schon mindestens zehnmal in den Mund genommen … Bislang hätte ich nur einen einzigen Grund zu Ihrer Festnahme, nämlich die Entwendung meiner Brieftasche, aber ich habe keine Anzeige erstattet …«
    »Ich habe sie Ihnen doch auch zurückgeschickt …«
    »Das stimmt allerdings. Aber jetzt versuchen wir erst mal, alles, was Sie mir erzählt haben, zu sortieren und zu ergänzen. Du kannst jetzt gehen, Torrence. Sag Janvier, er soll reinkommen …«
    Kurz darauf setzte sich Janvier an das Ende des Schreibtischs und holte einen Bleistift aus seiner Westentasche.
    »Sie heißen François Ricain. Sie sind fünfundzwanzig Jahre alt. Wo sind Sie geboren?«
    »In Paris, Rue Caulaincourt.«
    Eine gutbürgerliche Straße, fast wie in der Provinz, gleich hinter der Sacré-Cœur.
    »Leben Ihre Eltern noch?«
    »Nur mein Vater … Er ist Lokführer bei der S.N.C.F ….«
    »Wie lange sind Sie schon verheiratet?«
    »Etwas über dreieinhalb Jahre. Im Juni werden es vier … am siebzehnten …«
    »Sie waren damals also einundzwanzig, und Ihre Frau …«
    »Achtzehn

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