Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
sicher lässt sich das nicht sagen. Aus diesem Grund konnte ich diesen Punkt nicht in meinen offiziellen Bericht aufnehmen … Aber vielleicht können Sie etwas damit anfangen …«
»So, wie die Dinge im Moment liegen, muss ich alles berücksichtigen. Vielen Dank, Doktor.«
Janvier stand schweigend in der Tür.
Wieder hatte er sich, diesmal allein, mit grimmiger Miene ins Grenelle-Viertel begeben, so als ob es eine Sache zwischen ihm und diesem Viertel wäre. Er war am Seine-Ufer entlanggeschlendert, vierzig Meter unterhalb des Pont Bir-Hakeim stehen geblieben, genau an der Stelle, wo die Pistole in den Fluss geworfen und wieder herausgefischt worden war, dann war er auf das große Gebäude am Boulevard de Grenelle Nummer 9 zugegangen.
Er blieb eine Zeitlang vor dem Eingang stehen, ging schließlich hinein und klopfte ans Glasfenster der Conciergeloge. Die Concierge war eine junge, liebenswürdige Person, die ihn in ein helles, freundliches Wohnzimmer bat.
Er zeigte ihr seine Dienstmarke und fragte:
»Sind Sie für die Mietzahlungen zuständig?«
»Ja, Herr Kommissar.«
»Sie kennen natürlich François Ricain?«
»Sie wohnen in einer der Einzimmerwohnungen, die auf den Hof rausgehen, und kommen selten hier vorbei … Ich meine, sie kamen selten vorbei … Ach ja, ich habe gehört, dass er wieder hier ist … Aber sie … Natürlich habe ich die beiden gekannt, und es war mir sehr peinlich, ihnen dauernd eine Mahnung schreiben zu müssen. Im Januar haben sie um eine Zahlungsfrist von einem Monat gebeten, am fünfzehnten Februar wollten sie eine weitere Stundung … Der Hausbesitzer hat verfügt, dass sie die Wohnung räumen müssen, wenn sie am fünfzehnten März nicht die sechs Monate, die sie im Rückstand sind, bezahlen …«
»Haben sie bezahlt?«
»Der fünfzehnte war vorgestern …«
Der Mittwoch …
»Haben Sie sich nicht gewundert, dass sie nicht bei Ihnen aufgetaucht sind?«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie zahlen würden … Am Morgen hat Monsieur Ricain seine Post nicht abgeholt, und da habe ich mir gedacht, dass er mir wohl lieber nicht über den Weg laufen wollte. Sie haben übrigens nur selten Briefe bekommen, meistens nur Prospekte und Magazine, die sie abonniert hatten … Am Nachmittag habe ich an ihre Tür geklopft, aber es hat niemand aufgemacht …
Am Donnerstagmorgen habe ich es wieder versucht, und da immer noch keiner aufgemacht hat, habe ich einen der Mieter gefragt, ob er etwas gehört hat … Ich habe sogar schon überlegt, ob sie sich vielleicht bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht haben … Das wäre ja sehr einfach möglich gewesen, weil das Tor zur Rue Saint-Charles immer offen steht.«
»Was halten Sie von Ricain?«
»Ich habe nicht besonders viel von ihm mitgekriegt … Von Zeit zu Zeit hat sich mal der eine oder andere Mieter beschwert, weil sie bis in die frühen Morgenstunden Musik gemacht haben oder Freunde bei sich hatten, aber das machen andere Leute hier auch, vor allem die jungen … Er sah ein bisschen wie ein Künstler aus.«
»Und sie?«
»Was soll ich zu ihr sagen? Sie haben beide am Hungertuch genagt … Ein schönes Leben hatte sie nicht … Ist es denn erwiesen, dass es kein Selbstmord war?«
Er erfuhr nichts Neues und insistierte deshalb auch nicht allzu sehr. Er schlenderte umher, sah sich das Straßenschild, die Häuser, die offenen Fenster und die kleinen Läden an.
Um sieben Uhr stieß er die Tür zum ›Vieux-Pressoir‹ auf und war fast enttäuscht, dass er Fernande nicht auf ihrem Barhocker fand.
Bob Mandille saß an einem Tisch und las die Abendzeitung, während der Kellner letzte Hand an die Tischdekoration legte, indem er auf jede gewürfelte Decke eine Kristallvase mit einer Rose stellte.
»Da sieh mal an! Der Kommissar …«
Bob stand auf, um Maigret die Hand zu drücken.
»Und, was haben Sie herausgefunden? Die Journalisten sind schon ganz ärgerlich. Sie behaupten, sie würden von der Polizei bewusst im Ungewissen gelassen …«
»Wir haben ganz einfach im Moment nichts zu sagen.«
»Stimmt es, dass Sie Francis freigelassen haben?«
»Wir haben ihn gar nie festgenommen, Francis Ricain kann kommen und gehen, wie es ihm beliebt. Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Huguet, der Fotograf, der im selben Mietshaus wohnt, im vierten Stock. Er ist der Mann mit den zwei Frauen, der noch einer Dritten ein Kind gemacht hat … Er hat ihn im Hof gesehen, als er in seine Wohnung zurückkam … Eigentlich wundert es mich,
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