Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
dass du eines Tages daraus einen Film machst, den unser Freund Carus produziert … So enden ja alle Dramen …«
»Jetzt halt doch endlich den Mund!«
»Pardon … Ich wusste nicht, dass du …«
Das nun eintretende Schweigen war noch bedrückender. Von echter Freundschaft konnte gar nicht die Rede sein. Sie hatten sich nicht wirklich füreinander entschieden, sondern jeder war nur aus egoistischen Beweggründen hier.
Waren sie nicht alle von Carus abhängig? Allen voran Nora, die ihm sein Geld abluchste, um sich Nachtlokale zu kaufen. Da sie nicht darauf zählen konnte, dass er sie eines Tages heiraten würde, traf sie eben ihre Vorkehrungen.
Ahnte Carus etwas davon? Oder glaubte er sich um seiner selbst willen geliebt?
Wohl kaum, denn er war ein Realist. Er brauchte eine Frau an seiner Seite, und im Augenblick erfüllte Nora diesen Zweck noch recht gut. Es dürfte ihm wohl kaum missfallen, dass Nora überall sofort alle Blicke auf sich zog.
»Carus und seine Freundin … Sie heißt Nora … Die ist vielleicht eine Nummer …«
Warum auch nicht? Dennoch war er Sophies Liebhaber geworden und wollte aus ihr einen Filmstar machen.
Das deutete darauf hin, dass er sich eines Tages von Nora trennen würde … Er hatte andere Frauen vor ihr gehabt, und er würde andere Frauen nach ihr haben …
Dramin schleppte unvollendete Drehbücher mit sich herum, die Carus zum Leben erwecken konnte, vorausgesetzt, er glaubte an sein Talent …
Dasselbe galt für Francis, nur zeigte sich dieser weniger unterwürfig, weniger geduldig, oft wurde er aggressiv, vor allem wenn er Alkohol getrunken hatte.
Maki aber hing seinen eigenbrötlerischen Gedanken nach. Seine Plastiken fanden noch keine Käufer … Bis die Galeristen sich dafür interessierten, malte er für Carus oder sonst jemanden mal gute, mal schlechte Bühnenbilder. Er wusste es zu schätzen, wenn er zum Abendessen eingeladen wurde, dann verzehrte er doppelte Portionen und bestellte sich die teuersten Gerichte …
Was den Fotografen betraf … Maigret hatte Mühe, seinen Gesichtsausdruck zu definieren. Auf den ersten Blick wirkte er eher unbedeutend … In fast allen Gruppen, die regelmäßig zusammenkommen, findet sich ein Naivling mit großen hellen Augen, ein Spaßvogel … Da er sich den Anschein von Unbedarftheit zu geben wusste, durfte er ins Fettnäpfchen treten und selbst unangenehme Wahrheiten aussprechen, was anderen nicht gestattet war.
Schon sein Beruf genoss kein besonderes Ansehen … Und deshalb war es recht leicht, über ihn und seine ständig schwangeren Frauen zu lachen …
Rose wischte sich die Hände ab und vergewisserte sich, dass alle versorgt waren. Dann trank sie im Stehen ein Glas Champagner.
Bob trat dann und wann an Maigrets Tisch und pflanzte sich vor ihm auf.
»Sie tun ihr Bestes …«, flüsterte er ihm mit vielsagenden Blicken zu.
Wer fehlte, das war Sophie. Jeder spürte es. Wie aber hatte sich Sophie bei solchen Anlässen verhalten?
Bestimmt schmollte sie oder saß still in einer Ecke, allerdings im Bewusstsein, dass der reiche Mann der Clique, der große Produzent Carus, sich vor allem für sie interessierte. Hatte sie sich nicht noch am Nachmittag mit ihm in ihrem Liebesnest getroffen?
»Gedulde dich noch einen Moment, Häschen … Ich mach das schon!«
»Und Nora?«
»Das ist bald vorbei … Ich bereite sie langsam darauf vor … Das wird mich halt eine Stange Geld kosten …«
»Was soll aus Francis werden?«
»Am Anfang wird es ihn wahrscheinlich ein bisschen kränken, dass du mehr Erfolg hast als er und viel Geld verdienst … Aber mit der Zeit wird er sich schon daran gewöhnen … Ich gebe ihm die Regie für einen Film … Sobald er fest im Sattel sitzt, kannst du die Scheidung einreichen …«
Hatte es sich so abgespielt? Carus brauchte die anderen doch auch. Das meiste Geld verdiente er, indem er begabten jungen Leuten zum Durchbruch verhalf. Wenn er im ›Vieux-Pressoir‹ seinen Hofstaat um sich versammelte, genoss er das Gefühl, prominent zu sein, während er bei einem Abendessen mit wirklich vermögenden und einflussreichen Finanzleuten nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätte.
Bob brachte zwei neue Flaschen an den langen Tisch und zwinkerte dem Kommissar zu. Ricain, dem die Späßchen des Fotografen sichtlich auf die Nerven gingen, fauchte diesen an. Bald würde er es hier nicht mehr aushalten und das Lokal allein verlassen. Aber noch wagte er es nicht und schluckte seinen Ärger hinunter.
Aller
Weitere Kostenlose Bücher