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Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes

Titel: Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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schon seit einer Stunde an ihm herum …
    Anscheinend besteht eine Chance, daß der Junge durchkommt … Sein Vater macht den Mund nicht mehr auf … Die Tochter hatte einen Nervenzusammenbruch und ist in die Küche gesperrt worden, damit man sie nicht schreien hört …«
    Eine Tür wurde geöffnet. Maigret trat ins Treppenhaus, sah, daß der Arzt sich zum Gehen anschickte.
    Er begleitete ihn nach unten, hielt ihn in der Gaststube an.
    »Kriminalpolizei, Doktor! Wie steht’s um ihn?«
    Es war ein Landarzt, und er machte aus seiner Abneigung gegen die Polizei keinen Hehl.
    »Werden Sie ihn mitnehmen?« fragte er schroff.
    »Ich weiß nicht … Wie ist sein Zustand?«
    »Er ist gerade noch rechtzeitig losgemacht worden. Aber es wird ein paar Tage dauern, bis er wieder zu Kräften kommt … Hat er es der Santé zu verdanken, daß er so geschwächt ist? Er scheint ja keinen Tropfen Blut mehr in den Adern zu haben.«
    »Ich muß Sie bitten, kein Wort darüber verlauten zu lassen.«
    »Ihre Warnung ist überflüssig. Wozu gibt es das Arztgeheimnis?«
    Inzwischen war auch der Vater heruntergekommen. Er beobachtete den Kommissar. Aber er stellte keine Fragen. Mechanisch nahm er die zwei leeren Gläser von der Theke, tauchte sie ins Spülwasser.
    Eine von verhaltener Furcht erfüllte Stille lastete im Raum. Das Wimmern des Mädchens drang bis zu den drei Männern. Nach einer Weile stieß Maigret einen Seufzer aus.
    »Möchten Sie ihn eine Zeitlang hierbehalten?« Forschend blickte er den Alten an.
    Keine Antwort.
    »Leider sehe ich mich gezwungen, einen meiner Leute im Haus zurückzulassen …«
    Die Augen des Wirts ruhten sekundenlang auf Lucas, senkten sich wieder auf die Theke. Eine Träne rollte über seine Wange.
    »Er hat seiner Mutter hoch und heilig geschworen …«, begann er.
    Er wandte den Kopf ab, unfähig, weiterzusprechen. Um seine Fassung wiederzuerlangen, goß er sich ein Glas Rum ein. Als er daran nippte, schien er ihm in der Kehle steckenzubleiben.
    Maigret wandte sich an Lucas.
    »Bleib hier«, sagte er nur.
    Er ging nicht gleich fort. Er folgte dem Flur, fand eine Tür, die in den Innenhof führte. Durch das Küchenfenster erkannte er eine weibliche Gestalt, die sich, den Kopf in die verschränkten Arme vergraben, an die Wand lehnte.
    Maigret watete um den Misthaufen herum. Die Tür zum Schuppen stand weit offen, und von einem eisernen Nagel baumelte das Ende eines Stricks.
    Achselzuckend machte er kehrt, ging ins Haus zurück, fand nur noch Lucas im Café vor.
    »Wo ist er?«
    »Oben.«
    »Hat er nichts gesagt? … Ich schicke jemand her, der dich ablöst. Ihr müßt mich zweimal täglich anrufen.«
    »Du, du warst es, sag ich dir! Du hast ihn getötet«, schluchzte die alte Frau oben im ersten Stock. »Geh weg! … Du hast ihn getötet! … Meinen Jungen! … Meinen armen kleinen Jungen!«
    Die Glocke bimmelte an ihrem Draht, als Maigret die Haustür öffnete, um zu dem wartenden Taxi am Dorfeingang zurückzukehren.

8
    Ein Mann im Haus
    Als Maigret vor der Villa Henderson in Saint-Cloud aus dem Taxi stieg, war es wenige Minuten nach drei Uhr nachmittags. Auf der Rückfahrt von Nandy war ihm plötzlich eingefallen, daß er vergessen hatte, den Erben der Amerikanerin den Schlüssel zurückzugeben, der ihm zu Beginn seiner Untersuchung im Juli ausgehändigt worden war.
    Er verfolgte kein bestimmtes Ziel. Was ihn in die Villa führte, war eher die vage Hoffnung, zufällig auf etwas zu stoßen, das er bis dahin übersehen hatte, oder durch die Atmosphäre im Haus auf eine neue Idee zu kommen.
    Es war ein weitläufiges, stilloses, mit einem kitschigen Türmchen verziertes Gebäude, umgeben von einem Garten, den man kaum als Park bezeichnen konnte.
    Alle Läden waren geschlossen. Auf den Gartenwegen lagen haufenweise welke Blätter.
    Das Gittertor gab nach. Der Kommissar empfand ein leichtes Unbehagen in dieser trostlosen Umgebung, die eher an einen Friedhof als an eine menschliche Wohnstätte erinnerte.
    Ohne jeden Elan stieg er die vier Stufen der Freitreppe empor, die von geschmacklosen Gipsstatuen flankiert war. Über dem Eingang hing eine Laterne. Er schloß die Tür auf. Seine Augen mußten sich erst an das Halbdunkel gewöhnen, das ihn im Innern umfing.
    Ein unheimliches Haus, prunkvoll und schäbig zugleich. Das Erdgeschoß war seit Monsieur Hendersons Tod vor vier Jahren nicht mehr benutzt worden. Aber die Möbel und übrigen Gegenstände befanden sich zum größten Teil an ihrem angestammten Platz.

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