Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes
genauso verlassen da wie die im Erdgeschoß und waren ebenfalls vollgestopft mit Möbeln und Gegenständen aller Art.
Eine Vase ging klirrend zu Bruch. Der Kommissar befürchtete jetzt nur eines: daß der Fliehende noch rechtzeitig eine Tür hinter sich zuschlagen und verriegeln konnte.
»Im Namen des Gesetzes …«, begann er aufs Geratewohl zu rufen.
Doch der Unbekannte rannte weiter. Sie hatten bereits die halbe Etage hinter sich gelassen, und Maigret berührte gerade eine Türklinke, als auf der anderen Seite der Schlüssel gedreht wurde.
»Aufmachen! Oder …«
Das Schloß schnappte zu, der Riegel wurde vorgeschoben. Maigret zögerte keine Sekunde. Er nahm Anlauf, warf sich mit der rechten Schulter gegen die Füllung.
Die Tür erbebte, gab aber nicht nach. In dem Zimmer dahinter wurde ein Fenster aufgerissen.
»Im Namen des Gesetzes …«
Ihm kam nicht in den Sinn, daß seine Anwesenheit in diesem Haus, das jetzt William Crosby gehörte, ungesetzlich war, da er keinen Hausdurchsuchungsbefehl bei sich trug. Zweimal, dreimal warf er sich gegen die Tür. Eine der Füllungen begann nachzugeben.
Er nahm einen letzten Anlauf, und im gleichen Moment fiel ein Schuß. Die Stille, die darauf folgte, war so vollkommen, daß Maigret mit halboffenem Mund stehenblieb.
»Wer ist dort? Machen Sie auf!«
Kein Laut. Nicht einmal ein Röcheln! Auch nicht das unverkennbare Klicken eines Revolvers, der neu geladen wird.
In einem Anfall von Wut rammte der Kommissar die Tür mit der vollen rechten Körperseite. Sie flog plötzlich auf, so plötzlich, daß er ins Zimmer geschleudert wurde und beinahe zu Boden stürzte.
Feuchtkalte Luft drang durch das offene Fenster herein. Draußen konnte man die beleuchteten Scheiben eines Restaurants und eine gelbe Straßenbahn erkennen.
Unten an der Wand lehnte, den Körper leicht nach links geneigt, ein Mann.
An seiner grauen Kleidung, seiner Statur konnte man William Crosby erkennen, doch sein Gesicht hätte auch Maigret kaum mehr zu identifizieren vermocht.
Denn der Amerikaner hatte sich eine Kugel in den Mund gejagt, und der halbe Kopf war weggerissen.
Langsam und mürrisch ging Maigret von Zimmer zu Zimmer, knipste überall die Schalter an. In einigen Lampen steckten keine Birnen mehr. Aber wider Erwarten funktionierten die meisten.
Schließlich war das ganze Haus bis auf ein paar dunkle Stellen von oben bis unten beleuchtet.
Auf dem Rückweg durch Madame Hendersons Schlafzimmer bemerkte der Kommissar das Telefon auf dem Nachttisch. Er nahm den Hörer ab, überzeugt, daß der Anschluß gesperrt war, doch ein Klicken zerstreute seine Befürchtungen.
Und da saß er nun auf der Kante des Bettes, in dem die alte Amerikanerin umgebracht worden war. Und unmittelbar gegenüber sah er die Tür, auf deren Schwelle die Leiche der Zofe gelegen hatte.
Und einen Stock höher, in einem halbverfallenen Raum, lag eine neue Leiche, und durch das Fenster über ihr strömte die regenfeuchte Abendluft herein.
»Hallo! … Das Polizeipräsidium bitte!«
Unwillkürlich sprach er mit gedämpfter Stimme.
»Hallo! … Verbinden Sie mich mit dem Chef der Kriminalpolizei … Hier spricht Maigret … Hallo? Chef? … Vor wenigen Minuten hat William Crosby sich in der Villa in Saint-Cloud umgebracht … Ich bin in der Villa, ja … Würden Sie das Nötige veranlassen …? Ich war in nächster Nähe, keine vier Meter von ihm entfernt, aber die Tür zwischen uns war abgesperrt … Ich weiß … Nein! Mehr gibt es nicht zu sagen, vielleicht später …«
Nachdem er aufgelegt hatte, blieb er minutenlang unbeweglich sitzen und starrte vor sich hin.
Dann begann er geistesabwesend seine Pfeife zu stopfen, vergaß aber, sie anzuzünden.
Er empfand das Haus als riesigen, leeren, kalten Kasten, und er kam sich winzig und verloren darin vor.
»Die falschen Voraussetzungen …«, murmelte er plötzlich mit halblauter Stimme.
Er hatte Lust, noch einmal nach oben zu gehen. Doch wozu? Der Amerikaner war tot, mausetot! … Seine Rechte hielt immer noch den Revolver umklammert, mit dem er sich erschossen hatte.
Maigret grinste bei dem Gedanken an Richter Coméliau, der wahrscheinlich in eben dieser Minute über die neusten Ereignisse unterrichtet wurde. Natürlich würde er es sein, der mit den Beamten und den Leuten vom Erkennungsdienst angefahren kam.
An der Wand hing ein Ölporträt von Monsieur Henderson. Er sah feierlich aus in seinem Frack mit dem Band der Ehrenlegion und den vielen Orden aus aller
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