Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
steht?«
    »Ich war das … Gestern morgen … Als ich dem Kapitän auch die Blumen hinstellte.«
    »Waren Sie allein im Haus?«
    Die schwer atmende Julie gewann nur langsam ihre Fassung wieder, zugleich aber war sie über Maigrets Fragen erstaunt.
    »Was glauben Sie eigentlich?« schrie sie ihn plötzlich an.
    »Ich glaube nichts. Beruhigen Sie sich. Ich habe soeben Joris’ Testament gelesen.«
    »Und?«
    »Sie erben sein ganzes Vermögen. Sie sind reich.«
    Die einzige Reaktion auf diese Worte war ein erneuter Tränenausbruch.
    »Der Kapitän ist mit dem Wasser aus der Karaffe vergiftet worden.«
    Ihre Augen blitzten vor Verachtung, als sie ihn ansah, und sie brüllte:
    »Was wollen Sie damit sagen? Wie? Was wollen Sie damit sagen?«
    Und sie geriet so außer sich, daß sie ihn am Unterarm packte und ihn wie wild schüttelte. Es fehlte nicht viel und sie hätte ihn gekratzt und geschlagen.
    »Langsam … Beruhigen Sie sich. Die Untersuchung hat gerade erst begonnen. Ich unterstelle Ihnen nichts. Ich informiere mich lediglich.«
    An der Tür klopfte es. Es war der Dorfpolizist.
    »Die Vertreter der Staatsanwaltschaft werden nicht vor dem frühen Nachmittag hier sein können. Der Herr Bürgermeister lag noch im Bett, er ist erst heute früh von der Jagd zurückgekommen. Er kommt, sobald er fertig ist.«
    Auf allen lastete ein Druck. Im ganzen Haus herrschte eine erregte Atmosphäre. Und diese wartende Menge draußen, die gar nicht wußte, worauf sie eigentlich wartete, verstärkte noch das Gefühl der Nervosität und des Durcheinanders.
    »Beabsichtigen Sie hierzubleiben?« fragte Maigret das Mädchen.
    »Warum nicht? Wohin sollte ich gehen?«
    Maigret bat den Arzt, das Zimmer des Toten zu verlassen und schloß es ab. Er ließ Julie in der Obhut von zwei Personen zurück, der Frau des Leuchtturmwächters und der eines Schleusenarbeiters.
    »Sie sorgen dafür, daß niemand das Haus betritt«, sagte er zum Dorfpolizisten. »Lassen Sie sich notfalls etwas einfallen, um die Neugierigen zu vertreiben.«
    Er verließ das Haus, ging durch die Menge auf die Brücke zu. In der Ferne heulte immer noch das Nebelhorn, aber man hörte es kaum, weil der Wind vom Land kam. Die Luft war sehr mild. Von Stunde zu Stunde gewann die Sonne an Kraft. Das Meer stieg.
    Zwei Schleusenarbeiter hatten das Dorf schon verlassen und ihre Arbeit aufgenommen. Auf der Brücke begegnete Maigret Kapitän Delcourt, mit dem er am Vorabend gesprochen hatte und der jetzt zu ihm trat.
    »Nun, ist es wahr?«
    »Joris ist vergiftet worden, ja.«
    »Von wem?«
    Die Menge entfernte sich allmählich vom Haus des Kapitäns. Freilich, da war ja auch der Dorfpolizist, der gestikulierend von Gruppe zu Gruppe schritt und ihnen Gott weiß was erzählte. Dafür sahen nun alle dem Kommissar nach. Ihr ganzes Interesse richtete sich jetzt auf ihn.
    »Ist es schon soweit mit der Flut?«
    »Noch nicht. Das Wasser muß noch drei Fuß steigen. Sehen Sie, dieser Dampfer, der draußen auf Reede liegt, wartet seit sechs Uhr heute früh.«
    Andere Leute, die Zöllner, der Schleusenwart, der Fischerei-Aufseher und der Chef der Küstenwache trafen ein, aber sie zögerten, sich den beiden Männern zu nähern. Die einfachen Hilfsarbeiter dagegen bereiteten sich schon auf die Arbeit des Tages vor.
    Alles in allem war die ganze Bevölkerung nun um Maigret versammelt, die er im Nebel nur hatte erahnen können und die er jetzt im hellen Tageslicht sah.
    Die Seemannskneipe war ganz in der Nähe. Von ihr aus konnte man durch die Fenster und die Glastür auf die Schleuse, die Brücke, die Molen, den Leuchtturm und Joris’ Haus blicken.
    »Kommen Sie mit auf ein Glas?« schlug der Kommissar vor.
    Er nahm an, daß sich diese kleine Gemeinschaft vor jeder Flut in der Kneipe zusammenfand. Der Kapitän vergewisserte sich zuerst noch einmal über den Wasserstand.
    »Ich habe noch eine halbe Stunde«, sagte er.
    Sie traten beide in die aus Brettern gezimmerte Kneipe, dann folgten die anderen, unentschlossen, einer nach dem anderen, und Maigret forderte sie mit einem Handzeichen auf, sich an seinen Tisch zu setzen.
    Es galt das Eis zu brechen, sich allen vorzustellen, Vertrauen zu erwecken, ja, sich gewissermaßen in die Gruppe zu integrieren.
    »Was trinken Sie?«
    Sie schauten sich an.
    »Gewöhnlich trinken wir um diese Zeit Kaffee mit Schuß.«
    Eine Frau bediente sie. Die Leute kamen über die Brücke zurück, versuchten in die Kneipe zu spähen, zögerten, ins Dorf zurückzukehren und

Weitere Kostenlose Bücher