Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Straßendecke war naß und glitschig.
    Als der Kommissar seine Dienstbezeichnung genannt hatte, hatte der Lieferant ihn amüsiert und neugierig betrachtet.
    »Hören Sie, um die da einzuholen, brauche ich keine fünf Minuten.«
    »Nicht zu schnell …«
    Und nun mußte Maigret lächeln, als er sah, wie der Mann neben ihm die Haltung einnahm, die man von den Verfolgungsjagden amerikanischer Kriminalfilme kennt.
    Dabei galt es keine gefährlichen Manöver durchzuführen, keine Schwierigkeit zu überwinden. In einer der ersten Straßen der Stadt hielt der Wagen einige Augenblicke lang, wahrscheinlich, weil die Negretti sich mit dem Fahrer unterhielt, fuhr dann wieder los und blieb drei Minuten später vor einem ziemlich luxuriösen Hotel stehen.
    Maigret verließ den Lieferwagen hundert Meter dahinter und dankte dem Bäcker, der kein Trinkgeld annehmen wollte, aber entschlossen war, sich nichts entgehen zu lassen, und seinen Wagen in der Nähe des Hotels abstellte.
    Ein Hoteldiener nahm die beiden Koffer. Gloria Negretti überquerte eilig den Bürgersteig.
    Zehn Minuten später stellte der Kommissar sich dem Empfangschef vor.
    »Die Dame, die eben angekommen ist?«
    »Zimmer 9. Ich habe mir gleich gedacht, daß da irgend etwas nicht stimmt. Ich habe noch nie jemand so aufgeregt gesehen. Sie hat geredet wie ein Wasserfall, und was sie sagte, war mit ausländischen Wörtern gespickt. Ich glaube verstanden zu haben, daß sie nicht gestört werden will und daß wir ihr Zigaretten und Kümmelschnaps hinaufbringen sollen. Es wird doch hoffentlich keinen Skandal geben?«
    »Keine Sorge!« beruhigte ihn Maigret. »Ich möchte nur eine Auskunft von ihr.«
    Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er sich der Tür mit der Nummer 9 näherte. Denn aus dem Zimmer drang ein unüberhörbarer Lärm. Die hohen Absätze der jungen Frau hämmerten in ungleichmäßigem Rhythmus auf das Parkett.
    Sie lief kreuz und quer durch das Zimmer. Man hörte, wie sie das Fenster schloß, einen Koffer umstieß, einen Wasserhahn aufdrehte, sich auf das Bett warf, wieder aufstand und schließlich einen Schuh bis an das andere Ende des Zimmers beförderte.
    Maigret klopfte an.
    »Herein!«
    Ihre Stimme zitterte vor Wut und Ungeduld. Die Negretti war noch keine zehn Minuten da, und trotzdem hatte sie die Zeit gefunden, sich umzuziehen, ihre Haare in Unordnung zu bringen und alles in allem genau so auszusehen, höchstens noch etwas schlampiger, wie sie an Bord der ›Southern Cross‹ herumgelaufen war.
    Als sie den Kommissar erkannte, schoß ein wütender Blitz durch ihre braunen Augen.
    »Was wollen Sie von mir? … Was machen Sie hier? … Dies hier ist mein Zimmer! … Ich bezahle dafür und …«
    Sie redete in einer fremden Sprache weiter, wahrscheinlich auf spanisch, und schraubte eine Flasche Eau de Cologne auf, deren größten Teil sie sich über die Hände goß, bevor sie ihre glühende Stirn damit benetzte.
    »Erlauben Sie mir eine Frage?«
    »Ich hatte doch gesagt, daß ich niemanden sehen will. Gehen Sie. Haben Sie nicht gehört?«
    Sie lief auf Seidenstrümpfen umher und trug offenbar keine Strumpfhalter, denn die Strümpfe begannen die Beine hinabzurutschen und entblößten schon ein aufgedunsenes und sehr weißes Knie.
    »Sie täten besser daran, Ihre Fragen denen zu stellen, die sie auch beantworten können. Aber Sie trauen sich ja nicht, oder? Weil er ein Colonel ist. Weil er ›Sir‹ Walter ist. Ein feiner ›Sir‹! Ha! Wenn ich nur die Hälfte von dem erzählte, was ich weiß. Hier, sehen Sie mal!«
    Sie wühlte aufgeregt in ihrer Handtasche, aus der sie fünf zerknitterte Tausendfrancscheine zog.
    »Bitte sehr – das hat er mir vorhin in die Hand gedrückt! Und das, obwohl es schon zwei Jahre sind, nicht wahr, die ich mit ihm zusammenlebe, und in denen …«
    Sie warf die Scheine auf den Teppich, besann sich aber eines Besseren, hob sie wieder auf und steckte sie in ihre Tasche.
    »Natürlich hat er versprochen, mir einen Scheck zu schicken. Aber man weiß ja, was seine Versprechungen wert sind. Einen Scheck? Er hat ja nicht einmal genug Geld, um bis nach Porquerolles zu kommen. Was ihn aber nicht hindert, sich tagtäglich mit Whisky vollaufen zu lassen.«
    Sie weinte nicht, und doch klang ihre Stimme tränenerstickt. Es war eine ganz eigenartige Erregung, die sich bei dieser Frau zeigte, die Maigret immer nur in gedankenleerer Untätigkeit versunken gesehen hatte, in einer Atmosphäre wie in einem Treibhaus.
    »Und sein

Weitere Kostenlose Bücher