Maigret und der Treidler der Providence
Kommissar Maigret von der Kriminalpolizei. Man hat Ihnen gerade eine Leiche gebracht … Aber nein! Es handelt sich nicht um den Verkehrsunfall … Der Ertrunkene aus Dizy … Ja … Sehen Sie mal rasch im Verwaltungsbüro nach, bei seiner Habe … Sie müßten dort einen Manschettenknopf finden … Wenn Sie mir den mal beschreiben … Ja, ich warte …«
Drei Minuten später hing er ein, nachdem er die Auskunft bekommen hatte, und hielt noch immer die Mütze und den Manschettenknopf in der Hand.
»Ihr Essen ist fertig.«
Er gab sich nicht einmal die Mühe, dem rothaarigen Mädchen zu antworten, obwohl sie ihn betont freundlich angesprochen hatte. Beim Hinausgehen hatte er das Gefühl, vielleicht ein Ende des Fadens in der Hand zu halten, aber er fürchtete zugleich, ihn wieder zu verlieren.
»Die Mütze im Stall … Der Manschettenknopf im Hof … Und das Abzeichen des Y.C.F. in der Nähe der Brücke …«
Diese Richtung war es, in die er seine Schritte lenkte, und er ging sehr schnell. Hypothesen nahmen in seinen Gedanken Gestalt an, wurden wieder verworfen und wichen der nächsten.
Er war kaum einen Kilometer marschiert, als er verblüfft nach vorn sah.
Die ›Southern Cross‹, die vor einer guten Stunde eiligst davongefahren war, hatte rechts an der Brücke im Schilf festgemacht. An Deck war niemand zu sehen.
Aber als der Kommissar sich dem Boot bis auf etwa hundert Meter am anderen Ufer genähert hatte, kam ein Auto aus Epernay und hielt in der Nähe der Yacht. Wladimir, der neben dem Fahrer saß und immer noch seinen Matrosenanzug trug, sprang aus dem Wagen und lief auf das Boot zu.
Er hatte es noch nicht erreicht, als die Luke sich öffnete, der Colonel sich als erster an Deck zeigte und jemandem, der sich im Inneren befand, die Hand reichte.
Maigret versteckte sich nicht. Er konnte nicht wissen, ob der Colonel ihn sah oder nicht.
Die Szene spielte sich rasch ab. Der Kommissar hörte nicht, was gesagt wurde. Aber die Bewegungen der Personen vermittelten ihm einen recht zuverlässigen Eindruck von dem, was sich abspielte.
Es war die Negretti, der Sir Walter aus der Kabine heraushalf. Zum ersten Mal sah man sie im Straßenkostüm. Selbst von weitem wurde einem klar, daß sie wütend war.
Wladimir hatte zwei Koffer ergriffen, die bereitstanden, und trug sie zum Auto.
Der Colonel reichte seiner Gefährtin die Hand, um sie über den Steg zu geleiten, aber sie lehnte das ab und lief so überstürzt hinaus, daß sie beinahe kopfüber ins Schilf gefallen wäre.
Und sie ging, ohne auf ihn zu warten. Er folgte ihr mit einigen Schritten Abstand, unerschütterlich. Sie warf sich mit der gleichen Wut in das Auto, zeigte einen Augenblick ihr aufgeregtes Gesicht in der Wagentür und rief etwas, das eine Beleidigung oder eine Drohung sein mußte.
Sir Walter hingegen verneigte sich galant in dem Moment, in dem sich der Wagen in Bewegung setzte, sah ihm nach, wie er sich entfernte, und kehrte in Begleitung von Wladimir zur Yacht zurück.
Maigret hatte sich nicht gerührt. Er hatte den deutlichen Eindruck, daß sich bei dem Engländer ein Wandel vollzog.
Der Colonel lächelte nicht. Er blieb ebenso phlegmatisch wie sonst. Aber als er das Ruderhaus betrat, legte er Wladimir beispielsweise mitten im Gespräch mit einer freundschaftlichen, wenn nicht gar herzlichen Geste die Hand auf die Schulter.
Und das Manöver war sehenswert. Nur noch die beiden Männer waren an Bord. Der Russe holte den Landungssteg ein und ließ das Haltetau mit einem gezielten Ruck vom Poller hochschnellen.
Der Bug der ›Southern Cross‹ war tief in das Schilf eingedrungen. Ein Kahn kam von hinten heran und tutete.
Sir Walter drehte sich um. Er mußte Maigret unweigerlich gesehen haben, ließ sich aber nichts anmerken. Mit einer Hand kuppelte er ein. Mit der anderen drehte er das Messingrad zweimal herum, und die Yacht glitt zurück, gerade genug, um freizukommen, drehte vor dem Vordersteven des Schleppkahns bei, stoppte rechtzeitig und schoß davon, indem sie einen Schaumwirbel hinter sich ließ.
Sie hatte kaum hundert Meter zurückgelegt, als sie drei Sirenenstöße von sich gab, um der Schleuse von Ay ihre Ankunft anzukündigen.
»Verlieren Sie keine Zeit. Folgen Sie der Straße. Versuchen Sie, diesen Wagen einzuholen.«
Maigret hatte den Lieferwagen eines Bäckers angehalten, der in Richtung Epernay fuhr. Das Auto, in dem die Negretti saß, war ungefähr einen Kilometer voraus zu sehen, aber es fuhr recht langsam, denn die
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