Maigret und der Treidler der Providence
repariert und das Rad bei dieser Gelegenheit von Grund auf gereinigt und geölt.
Gestern haben wir es nicht benutzt. Wir hatten hinten auch einen neuen Reifen aufgezogen. Ja, und heute morgen war das Rad sauber, obwohl es die ganze Nacht geregnet hatte. Sie haben den Schlamm auf den Wegen ja selbst gesehen. Nur daß das linke Pedal verbogen ist und der Reifen aussieht, als hätte er mindestens hundert Kilometer drauf.
Können Sie sich einen Reim darauf machen? Mit dem Rad ist jemand gefahren, das steht fest! Und derjenige, der es zurückgebracht hat, hat sich die Mühe gemacht, es wieder sauberzumachen.«
»Welche Schiffe haben letzte Nacht hier in der Nähe gelegen?«
»Warten Sie mal … Die ›Madeleine‹ wird bis La Chaussée durchgefahren sein, wo der Schwager des Besitzers ein Bistro hat. Die ›Miséricorde‹ hat unterhalb meiner Schleuse festgemacht.«
»Kam sie aus Dizy?«
»Nein! Die fährt zu Tal und ist von der Saône gekommen. Bleibt nur die ›Providence‹. Die ist gestern abend um sieben Uhr vorbeigekommen. Sie ist bis Omey weitergefahren, zwei Kilometer von hier; dort ist ein guter Hafen.«
»Haben Sie noch ein anderes Fahrrad?«
»Nein. Aber man kann dieses hier ja noch benutzen.«
»Nein, tut mir leid! Sie werden es irgendwo einschließen. Sie müssen sich ein anderes leihen, wenn es nötig ist. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?«
Die Schiffer kamen aus der Küche, und einer von ihnen rief dem Schleusenwärter zu:
»Ist das eine Art, seine Gäste zu empfangen, Désiré?«
»Einen Moment noch. Ich habe mit dem Herrn hier zu tun.«
»Was meinen Sie, wo ich die ›Providence‹ wohl einholen kann?«
»Na ja, die macht noch gute Fahrt. Es würde mich wundern, wenn Sie sie noch vor Vitry erwischen.«
Maigret wollte wieder aufbrechen. Er ging zurück, holte einen Universalschlüssel aus seiner Werkzeugtasche und schraubte die beiden Pedale vom Rad der Schleusenwärtersfrau ab.
Während er seinen Weg fortsetzte, beulten die Pedale, die er eingesteckt hatte, seine beiden Jackentaschen aus.
Der Schleusenwärter in Dizy hatte im Scherz gesagt:
»Wenn es nirgendwo sonst regnet, gibt es mindestens zwei Orte, an denen man sicher sein kann, daß es vom Himmel herunterkommt, nämlich hier und in Vitry-le-François.«
Maigret näherte sich dieser Stadt, und es begann wieder zu regnen: ein ganz feiner, träger, endloser Regen.
Der Kanal änderte sein Gesicht. An den Ufern erhoben sich Fabriken, und der Kommissar radelte lange mitten in einem Pulk von Arbeiterinnen, die aus einer von ihnen gekommen waren.
An mehreren Stellen lagen Schiffe, die gelöscht wurden, und andere, die schon halb leer waren und warteten.
Und schon tauchten die ersten Vorstadthäuschen auf, mit Kaninchenställen aus alten Kisten und armseligen Gärtchen.
Alle paar Kilometer eine Zementfabrik, ein Steinbruch oder ein Kalkofen. Und der Regen vermengte den weißen Staub in der Luft mit dem Schlamm des Weges. Der Zement überzog alles mit einem grauen Schleier: die Ziegeldächer, die Apfelbäume und das Gras.
Maigret verfiel immer mehr in die Pendelbewegung von rechts nach links und von links nach rechts, an der man den erschöpften Radfahrer erkennt. Er dachte, ohne nachzudenken. Stückchen für Stückchen reihte er halbfertige Überlegungen aneinander, die sich noch nicht zu einem einheitlichen Bild zusammenfügten.
Als er die Schleuse von Vitry-le-François vor sich sah, war es schon dunkel geworden, und die weißen Hecklaternen von rund sechzig Kähnen, die in einer Schlange hintereinander fuhren, tanzten vor seinen Augen.
Einige überholten die anderen, setzten sich quer. Und wenn ein Schiff aus der Gegenrichtung kam, hörte man Schreie, Flüche und Mitteilungen, die man einander im Vorbeifahren zurief.
»He! Die ›Simoun‹! Deine Schwägerin, die wir in Chalon-sur-Saône gesehen haben, läßt dir ausrichten, daß sie dich auf dem Kanal von Burgund treffen wird. Sie wollen mit der Taufe solange warten. Und schöne Grüße von Pierre.«
Auf den Schleusentoren sah man ein Dutzend Silhouetten geschäftig hin und her laufen.
Und über all dem hing ein bläulicher, regnerischer Nebel, in dem man schemenhaft die wartenden Pferde sah und die Umrisse von Männern, die von einem Schiff zum anderen liefen.
Maigret las die Namen am Heck der Lastkähne. Eine Stimme rief ihm zu:
»Guten Abend, Monsieur!«
Er brauchte einige Sekunden, um den Besitzer der »Eco III « wiederzuerkennen.
»Schon
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