Maigret und der Treidler der Providence
repariert?«
»Nicht der Rede wert! Mein Maat ist ein Dummkopf. Der Mechaniker, der aus Reims gekommen ist, hat keine fünf Minuten dafür gebraucht.«
»Haben Sie zufällig die ›Providence‹ gesehen?«
»Die ist vor uns. Aber wir werden noch vor ihr durchschleusen. Wegen des Staus wird man die ganze Nacht hindurch schleusen und die nächste vielleicht auch noch. Stellen Sie sich das mal vor: mindestens sechzig Schiffe, die hier liegen, und es kommen immer noch welche dazu. Eigentlich haben Motorschiffe Vorrang und dürfen die Treidelkähne überholen. Aber diesmal hat der zuständige Ingenieur entschieden, daß immer abwechselnd ein Treidelkahn und ein Motorschiff durchgeschleust wird.«
Und der Mann, ein sympathischer Kerl mit offenem Gesicht, streckte den Arm aus.
»Da – sehen Sie? Direkt gegenüber dem Kran. Ich erkenne sie an ihrem weiß gestrichenen Steuerruder.«
Wenn man neben den Kähnen herging, konnte man durch die Luken hindurch sehen, wie die Leute im gelben Licht von Petroleumlampen beim Essen saßen.
Maigret fand den Besitzer der ›Providence‹ am Kai, mitten in einer heftigen Diskussion mit anderen Schiffern.
»Ist doch gar nicht einzusehen, daß die Motorschiffe mehr Rechte haben sollen als wir! Nehmen wir zum Beispiel die ›Marie‹: in einem Abschnitt von fünf Kilometern holen wir einen Kilometer Vorsprung vor ihr heraus. Und dann? Mit dieser Vorrangregelung kommt sie trotzdem eher dran als wir. Sieh mal … Da ist ja der Kommissar!«
Und der schmächtige Mann streckte ihm die Hand entgegen wie einem alten Freund.
»Wollten Sie uns nochmal besuchen? Die Chefin ist an Bord. Sie wird sich freuen, Sie wiederzusehen, denn sie sagt, für einen Polizisten wären Sie ein feiner Kerl.«
In der Dunkelheit sah man die Zigaretten rot aufglühen und die Schiffslaternen so nah beieinander leuchten, daß man sich fragte, wie die Kähne noch manövrieren konnten.
Maigret traf die korpulente Brüsselerin an, als sie gerade ihre Suppe durchseihte. Bevor sie ihm die Hand reichte, wischte sie sie an ihrer Schürze ab.
»Haben Sie den Mörder noch nicht gefunden?«
»Leider nein! Ich muß Sie noch einmal um ein paar Auskünfte bitten.«
»Setzen Sie sich … Ein Schlückchen?«
»Danke!«
»Danke ja? Na, kommen Sie! Bei solch einem Wetter hat das noch niemandem geschadet … Sie sind doch nicht etwa mit dem Fahrrad aus Dizy gekommen?«
»Doch, aus Dizy!«
»Aber das sind doch achtundsechzig Kilometer!«
»Ist Ihr Treidler hier?«
»Der wird auf der Schleuse sein und diskutieren. Man will uns nicht der Reihe nach durchschleusen, aber jetzt ist nicht der Moment, uns das gefallen zu lassen! Schließlich haben wir schon genug Zeit verloren.«
»Hat er ein Fahrrad?«
»Wer, Jean? Nein!«
Sie lachte. Und sie fuhr fort, während sie sich wieder ihrer Küchenarbeit zuwandte:
»Den kann ich mir gar nicht auf einem Fahrrad vorstellen, mit seinen kurzen Beinen. Mein Mann hat eins, aber das hat er schon seit gut einem Jahr nicht mehr benutzt, und außerdem sind die Reifen, glaube ich, nicht mehr dicht.«
»Haben Sie die Nacht in Omey verbracht?«
»Genau! Wir versuchen immer, an einem Ort festzumachen, wo man einkaufen kann. Denn wenn man das Pech hat, tagsüber irgendwo anhalten zu müssen, gibt es immer ein paar andere Schiffe, die einen überholen.«
»Um wieviel Uhr waren Sie angekommen?«
»Ungefähr um die gleiche Zeit wie jetzt. Wir kümmern uns mehr um die Sonne als um die Uhrzeit, verstehen Sie? Noch einen kleinen Schluck? Das ist Genever, den bringen wir jedesmal aus Belgien mit.«
»Sind Sie zum Lebensmittelgeschäft gegangen?«
»Ja. Die Männer waren derweil einen trinken. Es muß kurz nach acht Uhr gewesen sein, als wir schlafen gingen.«
»War Jean im Pferdestall?«
»Wo hätte er sonst sein sollen? Er fühlt sich nur bei seinen Tieren wohl.«
»Haben Sie während der Nacht keine Geräusche gehört?«
»Nein, überhaupt nichts. Um drei Uhr ist Jean gekommen, wie gewöhnlich, und hat den Kaffee aufgesetzt. Das macht er immer. Dann sind wir losgefahren.«
»Haben Sie nichts Außergewöhnliches bemerkt?«
»Wie meinen Sie das? Sie haben doch nicht etwa den alten Jean in Verdacht? Wissen Sie, er wirkt ein bißchen merkwürdig, mit seiner Art, wenn man ihn nicht kennt. Aber wir sind jetzt schon acht Jahre mit ihm zusammen. Glauben Sie mir, ohne ihn wäre die ›Providence‹ nicht mehr das, was sie ist.«
»Schläft Ihr Mann bei Ihnen?«
Sie lachte wieder und stieß
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