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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Frau, die zusammen mit anderen in einiger Entfernung stand und lamentierte.
    »Du hast doch den Motor hoffentlich nicht abgestellt?«
    Der Arzt ließ die Zuschauer zurücktreten und runzelte die Stirn, als er die Brust abtastete.
    »Er lebt, nicht wahr?« sagte stolz der erste, der sich um ihn gekümmert hatte.
    »Kriminalpolizei!« unterbrach Maigret. »Ist es ernst?«
    »Fast alle Rippen sind gebrochen … Gewiß, er lebt! Aber es würde mich wundern, wenn er das lange überlebt … Ist er zwischen zwei Schiffen eingeklemmt worden?«
    »Zwischen einem Schiff und der Schleusenwand.«
    »Fühlen Sie mal!«
    Und der Arzt ließ den Kommissar den linken Arm abtasten, der an zwei Stellen gebrochen war.
    »Gibt es hier eine Tragbahre?«
    Der Sterbende stieß einen schwachen Seufzer aus.
    »Ich werde ihm auf alle Fälle eine Spritze geben. Aber ich brauche so schnell wie möglich eine Tragbahre. Das Krankenhaus ist fünfhundert Meter von hier.«
    Es gab eine Bahre an der Schleuse, wie vorgeschrieben, aber sie lag oben auf dem Speicher, wo man jetzt hinter einer Dachluke die Flamme einer Kerze hin und her wandern sah.
    Die Brüsselerin stand in einiger Entfernung von Maigret, zu dem sie vorwurfsvoll hinübersah, und schluchzte.
    Zehn Männer halfen, den Treidler anzuheben, der ein neues Röcheln von sich gab. Dann schwankte eine Laterne in Richtung Landstraße davon und umschloß mit ihrem Lichtschein eine dichtgedrängte Menschengruppe, während ein Motorschlepper mit seinen grünen und roten Positionslichtern drei Sirenenstöße hören ließ und mitten in der Stadt festzumachen begann, um am nächsten Morgen als erster loszufahren.
     
    Zimmer 10. Rein zufällig bemerkte Maigret die Nummer. Hier lagen nur zwei Patienten, von denen der eine wie ein Kleinkind wimmerte.
    Der Kommissar verbrachte die meiste Zeit damit, in dem weiß gekachelten Gang auf und ab zu gehen, in dem Krankenschwestern vorbeihasteten und sich halblaute Anweisungen zuriefen.
    Gegenüber, im Zimmer 8, in dem lauter Frauen lagen, rätselte man über den neuen Patienten und stellte Prognosen.
    »Wenn man ihn schon auf Zimmer 10 legt …«
    Der Arzt war ein rundlicher Mann mit einer Hornbrille. Er ging zwei- oder dreimal vorbei, in einem weißen Kittel, ohne etwas zu Maigret zu sagen.
    Es war beinahe schon elf, als er endlich auf ihn zukam.
    »Wollen Sie ihn sehen?«
    Es war ein erschütternder Anblick. Der Kommissar hatte Mühe, den alten Jean wiederzuerkennen, den man rasiert hatte, um zwei Schnittwunden zu versorgen, die er sich an der Wange und auf der Stirn zugezogen hatte.
    Er lag da, ganz sauber, in einem weißen Bett, im nüchternen Lichtschein einer Lampe aus Mattglas.
    Der Arzt schlug die Bettdecke zurück.
    »Schauen Sie sich diesen Körper an! Er ist gebaut wie ein Bär. Ich glaube, ich habe noch nie so einen Knochenbau gesehen. Was ist mit ihm passiert?«
    »Er ist vom Schleusentor gefallen, als die Schieber gerade geöffnet waren.«
    »Ich verstehe. Er muß zwischen der Mauer und dem Schiff eingequetscht worden sein. Der Brustkorb ist buchstäblich eingedrückt. Die Rippen sind gebrochen.«
    »Und wie steht es sonst?«
    »Wir werden ihn morgen untersuchen müssen, meine Kollegen und ich, falls er dann noch lebt. Sein Zustand ist sehr kritisch. Eine falsche Bewegung kann ihn umbringen.«
    »Hat er das Bewußtsein wiedererlangt?«
    »Wenn ich das wüßte! Das ist vielleicht das Unfaßlichste. Vorhin, als ich die Wunden untersuchte, hatte ich ganz deutlich den Eindruck, daß er die Augen halb geöffnet hatte und mich mit seinen Blicken verfolgte. Aber sobald ich ihn ansah, schloß er die Lider. Er hat nicht deliriert. Er röchelt nur ab und zu.«
    »Und sein Arm?«
    »Nichts Ernstes. Der doppelte Bruch ist bereits fixiert. Aber man kann einen Brustkorb nicht wie einen Oberarmknochen reparieren … Wo kommt er eigentlich her?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich frage Sie danach, weil er merkwürdige Tätowierungen hat. Die von den Strafbataillonen kenne ich, aber die sehen anders aus. Ich werde sie Ihnen morgen zeigen, wenn der Gips für die Untersuchung entfernt wird.«
    Der Pförtner kam und teilte mit, daß Leute darauf bestünden, den Verletzten zu sehen. Maigret ging selbst mit in die Pförtnerloge und fand dort den Schiffer von der ›Providence‹ und dessen Frau, die sich ihre besten Sachen angezogen hatten.
    »Wir können ihn doch sehen, nicht wahr, Herr Kommissar? Das ist Ihre Schuld, wissen Sie! Sie haben ihn mit Ihrer Fragerei verwirrt.

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