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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Bootshaken vorbei, der Maigret voll gegen die Wange schlug.
    Von allen Seiten kamen Schiffer angelaufen. Und der Schleusenwärter stürzte aus seinem Haus, entsetzt bei dem Gedanken an seine Verantwortung.
    »Was ist passiert?«
    »Der Alte …«
    Zwischen der Bordwand des Kahns und den Mauern der Schleusenkammer blieben auf beiden Seiten nicht mehr als dreißig Zentimeter Wasser frei. Und dieses Wasser, das von den Schiebern nachdrängte, stürzte mit rasender Geschwindigkeit in den engen Zwischenraum und schlug tosend über sich selbst zusammen.
    Manches wurde falsch gemacht. Unter anderem drehte jemand einen Schieber am Untertor auf, und man konnte hören, wie dieses Tor aus den Angeln zu springen drohte, während der Schleusenwärter darauf zusprang, um das Schlimmste abzuwenden.
    Erst hinterher erfuhr der Kommissar nämlich, daß der ganze Streckenabschnitt hätte überflutet und fünfzig Schleppkähne hätten beschädigt werden können.
    »Siehst du ihn?«
    »Da unten ist etwas Schwarzes …«
    Der Schleppkahn stieg immer noch, aber langsamer. Drei von vier Schiebern waren geschlossen. Aber immer wieder schlug das Schiff heftig gegen die Mauer der Schleusenkammer und zermalmte vielleicht den Treidler.
    »Wie tief?«
    »Mindestens einen Meter unter dem Schiff …«
    Es war furchtbar. Im schwachen Schein der Stalllaterne sah man die Brüsselerin in alle Richtungen laufen, einen Rettungsring in der Hand.
    Sie schrie verzweifelt:
    »Ich glaube, er kann nicht schwimmen!«
    Und Maigret hörte eine ernste Stimme, die in seiner Nähe sagte:
    »Um so besser! Dann wird er weniger gelitten haben.«
     
    Das dauerte eine Viertelstunde. Dreimal hatte jemand geglaubt, einen Körper auftauchen zu sehen. Aber vergeblich stocherte man in der angegebenen Richtung mit dem Bootshaken herum.
    Die ›Providence‹ verließ langsam die Schleuse, und ein alter Treidler brummte:
    »Jede Wette, daß er unter dem Ruder hängt! Ich habe so etwas mal in Verdun gesehen.«
    Er täuschte sich. Der Kahn hatte gerade fünfzig Meter weiter angehalten, als Männer, die mit einer Stange die Untertore abtasteten, Hilfe herbeiriefen.
    Ein kleines Boot mußte geholt werden. Man hatte etwas gespürt, einen Meter unter der Wasseroberfläche. Und im gleichen Augenblick, in dem jemand sich entschloß, in das Wasser zu springen, während seine Frau ihn mit Tränen in den Augen zurückzuhalten versuchte, tauchte plötzlich ein Körper an der Oberfläche auf.
    Man zog ihn hoch. Zehn Hände ergriffen gleichzeitig die Kordjacke, die zerrissen war, denn sie war an einem der Bolzen des Tores hängengeblieben.
    Der Rest spielte sich wie in einem Alptraum ab. Man hörte das Telefon im Häuschen des Schleusenwärters klingeln. Ein Junge war mit dem Fahrrad losgefahren, um einen Arzt zu holen.
    Aber das war überflüssig. Kaum lag der alte Treidler reglos und ohne ein Zeichen von Leben auf der Uferböschung, als ein alter Schiffer seine Jacke auszog, neben dem gewaltigen Brustkorb des Ertrunkenen niederkniete und dessen Zunge rhythmisch herauszuziehen begann.
    Jemand hatte die Laterne geholt. Der Körper des Treidlers erschien noch kürzer, noch gedrungener als je zuvor, und das triefende, mit Schlamm überzogene Gesicht war blutleer.
    »Er bewegt sich! Ich sage dir, er bewegt sich!«
    Es gab kein Gedränge mehr. Die Stille war so intensiv, daß jedes Wort wie in einer Kathedrale widerhallte. Und immer noch hörte man den Wasserstrahl eines nicht richtig geschlossenen Schiebers.
    »Nun?« fragte der Schleusenwärter, der zurückkam.
    »Er rührt sich. Aber nur ganz schwach.«
    »Man müßte einen Spiegel haben.«
    Der Besitzer der ›Providence‹ lief, um einen von Bord zu holen. Der Mann, der mit der künstlichen Beatmung begonnen hatte, war schweißüberströmt, und ein anderer nahm seinen Platz ein und bemühte sich noch intensiver um den Ertrunkenen.
    Als man die Ankunft des Arztes meldete, der mit dem Wagen über eine Seitenstraße kam, konnte jeder sehen, daß sich die Brust des alten Jean im Zeitlupentempo hob.
    Man hatte ihm die Jacke ausgezogen. Das offene Hemd ließ eine Brust sehen, die so behaart war wie die eines Tieres. Unter der rechten Brustwarze befand sich eine lange Narbe, und Maigret bemerkte flüchtig eine Art Tätowierung an der Schulter.
    »Das nächste Schiff!« schrie der Schleusenwärter, die Hände zu einem Schalltrichter geformt. »Ihr könnt hier doch nichts mehr helfen …«
    Und ein Schiffer entfernte sich unwillig und rief seine

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