Maigret und der Treidler der Providence
Direktor von Saint-Laurent-du-Maroni will Darchambaux in einem der Krankenhäuser der Strafkolonie arbeiten lassen. Darchambaux lehnt es ab. Seine Beurteilungen sind gut. Williger Sträfling. Ein einziger Fluchtversuch, zusammen mit fünfzehn Mitgefangenen, die ihn überredet haben mitzukommen.
Fünf Jahre später versucht ein neuer Direktor das, was er die Wiedereingliederung von Darchambaux nennt, vermerkt aber zugleich am Rande seines Berichts, daß bei dem Sträfling, den man ihm vorführt, nichts an den Akademiker von damals erinnere, ja nicht einmal an einen halbwegs gebildeten Menschen …
Nun! Interessiert Sie der Rest auch?
Als Krankenpfleger in Saint-Laurent eingesetzt, stellt er selbst den Antrag, wieder in das Straflager zurückzukehren.
Er ist gutwillig, aber eigensinnig und verschlossen. Einer seiner Kollegen, der sich für seinen Fall interessiert, untersucht ihn auf seinen Geisteszustand, kommt aber zu keinem eindeutigen Ergebnis. Wie er schreibt, und diese Passage hat er mit roter Tinte unterstrichen, ist bei Darchambaux eine Art fortschreitenden Verfalls der geistigen Fähigkeiten festzustellen, mit der eine krankhafte Übersteigerung der Physis Hand in Hand geht.
Zweimal begeht Darchambaux einen Diebstahl. In beiden Fällen stiehlt er Lebensmittel, das zweite Mal von einem Mithäftling, der ihn mit einem scharf geschliffenen Flintstein an der Brust verletzt.
Journalisten, die das Lager besuchen, raten ihm vergeblich, ein Gnadengesuch zu stellen.
Als seine fünfzehn Jahre um sind, bleibt die Verbannung noch in Kraft, und er verdingt sich als Aushilfe in einem Sägewerk, wo er sich um die Pferde kümmert.
Mit fünfundvierzig Jahren ist er wieder ein freier Mann. Seine Spur verliert sich.«
»Ist das alles?«
»Ich kann Ihnen die Akte schicken. Ich habe Ihnen nur eine Zusammenfassung gegeben.«
»Keine Angaben über seine Frau? Sie sagten, sie sei in Etampes geboren, nicht wahr? … Besten Dank, Benoît. Sie brauchen die Unterlagen nicht herzuschicken. Was Sie mir gesagt haben, genügt mir.«
Als er aus der Kabine trat, gefolgt von Lucas, war er in Schweiß gebadet.
»Rufen Sie im Rathaus von Etampes an. Wenn Céline Mornet tot ist, werden Sie es dort erfahren. Zumindest, wenn sie unter diesem Namen gestorben ist. Fragen Sie auch in Moulins nach, ob Marie Dupin Verwandte in Etampes hat.«
Er lief durch die Stadt, ohne etwas zu sehen, die Hände tief in den Taschen. Am Ufer des Kanals mußte er fünf Minuten warten, weil die Zugbrücke hochgezogen war und ein schwer beladener Kahn sich träge vorwärtsschob, indem er seinen platten Bauch über den Grund schleifte, so daß der Schlamm mit Luftblasen vermischt an die Oberfläche stieg.
Als er die ›Providence‹ erreichte, ging er auf den Beamten zu, den er auf dem Leinpfad postiert hatte.
»Sie können gehen.«
Er sah den Colonel auf dem Deck seiner Yacht auf und ab wandern.
Die Schiffersfrau kam ihm vom Kahn herunter entgegengelaufen, viel aufgeregter als am Morgen, mit glänzenden Streifen auf den Wangen.
»Es ist schrecklich, Herr Kommissar …«
Maigret wurde bleich und fragte mit grimmiger Miene:
»Tot?«
»Nein! Seien Sie doch still! Vorhin war ich bei ihm, ganz allein. Sie müssen nämlich wissen, daß er meinen Mann sehr gemocht hat, aber an mir hing er ganz besonders. Ich bin viel jünger als er. Und trotzdem sah er in mir fast so etwas wie seine Mutter.
Wochenlang sprachen wir kein Wort miteinander. Und doch … Ein Beispiel! Meistens vergißt mein Mann meinen Namenstag. Die heilige Hortense. Nun, in den letzten acht Jahren hat Jean es nicht ein einziges Mal versäumt, mir Blumen zu schenken. Manchmal, wenn wir mitten auf dem Land waren, habe ich mich gefragt, wo er sie holte. Und an diesem Tag steckte er immer Kokarden an die Scheuklappen der Pferde.
Eben saß ich also ganz nah bei ihm. Es sind wahrscheinlich seine letzten Stunden. Mein Mann wollte die Pferde hinausbringen, weil sie es nicht gewohnt sind, so lange eingesperrt zu bleiben. Ich habe ihn nicht gelassen, denn ich bin sicher, daß Jean daran liegt, sie auch bei sich zu haben.
Ich hatte seine große Hand genommen …«
Sie weinte, schluchzte aber nicht, sondern sprach weiter, während ihr die Tränen über die fleckigen Wangen liefen.
»Ich weiß nicht, wie es gekommen ist … Ich habe keine Kinder. Aber wir sind seit langem entschlossen, eines zu adoptieren, sobald wir das gesetzlich vorgeschriebene Alter dafür erreicht haben.
Ich sagte ihm, daß es
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