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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nicht so schlimm sei, daß er bestimmt wieder gesund würde und daß wir versuchen wollten, eine Fracht für das Elsaß zu bekommen, wo die Landschaft im Sommer so hübsch sei.
    Ich spürte, wie er meine Hand drückte. Ich konnte ihm doch nicht sagen, daß er mir wehtat. Und dann wollte er sprechen.
    Können Sie das verstehen? Ein Mann wie er, der gestern noch genauso stark war wie seine Pferde. Er öffnete den Mund. Er strengte sich so sehr an, daß seine Adern an den Schläfen hervortraten und ganz violett wurden. Und ich hörte ein rasselndes Geräusch, wie den Schrei eines Tieres.
    Ich flehte ihn an, ruhig zu bleiben. Aber er versuchte es immer wieder. Er richtete sich im Stroh auf, ich weiß nicht wie. Und er öffnete immer noch den Mund. Etwas Blut kam heraus und lief ihm das Kinn hinab.
    Ich wollte meinen Mann rufen. Aber Jean hielt mich immer noch fest. Er machte mir angst. Sie können sich das nicht vorstellen. Ich versuchte, ihn zu verstehen. Ich fragte ihn:
    ›Zu trinken? Nein? Soll ich jemanden holen?‹
    Und er war so verzweifelt, weil er nichts sagen konnte! Ich hätte es erraten müssen. Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf …
    Sagen Sie, was kann er nur von mir gewollt haben? Und jetzt ist irgend etwas in seiner Kehle zerrissen. Ich weiß es nicht …
    Er hatte eine Blutung. Schließlich hat er sich wieder hingelegt, mit zusammengebissenen Zähnen, gerade auf seinen gebrochenen Arm. Das tut ihm bestimmt weh, und trotzdem hat man den Eindruck, daß er nichts spürt. Er blickt starr vor sich hin.
    Ich würde so viel darum geben, zu wissen, was ihm noch eine Freude machen könnte, bevor … bevor es zu spät ist.«
    Maigret ging lautlos zum Stall und blickte durch die offene Luke.
    Das war ebenso ergreifend, ebenso furchtbar wie der Todeskampf eines Tieres, mit dem man sich nicht verständigen kann.
    Der Treidler lag zusammengekauert. Er hatte den Gipsverband, den ihm der Arzt in der Nacht zuvor um den Oberkörper gelegt hatte, teilweise abgerissen.
    In langen Intervallen hörte man das Pfeifen seines Atems.
    Eines der Pferde hatte sich mit dem Vorderfuß in seiner Leine verfangen, blieb aber unbeweglich stehen, als hätte es verstanden, daß etwas Ernstes geschah.
    Auch Maigret zögerte. Er rief sich das Bild der toten Frau in Erinnerung, die unter dem Stroh des Pferdestalles in Dizy gelegen hatte, dann die Leiche Willy Marcos, die auf dem Kanal trieb und die die Männer in der Kälte des Morgens mit einem Bootshaken zu fassen versuchten.
    Die Hand in seiner Tasche betastete die Plakette des Yacht Club de France und den Manschettenknopf.
    Und er sah den Colonel wieder vor sich, wie er sich vor dem Untersuchungsrichter verneigte und mit einer Stimme, in der kein Zittern mitschwang, um die Erlaubnis bat, seine Reise fortsetzen zu dürfen.
    Im Leichenschauhaus von Epernay, in einer Kühlkammer, deren Wände metallene Schubkästen aufwiesen wie die Stahlkammer einer Bank, warteten zwei Leichen, jede in einem numerierten Fach.
    Und in Paris schleppten zwei kleine, schlampig geschminkte Frauen ihre dumpfe Angst von einer Bar zur nächsten.
    Lucas kam in Sicht.
    »Und?« rief Maigret ihm von weitem zu.
    »Céline Mornet hat in Etampes seit dem Tag, an dem sie die Papiere beantragt hatte, die sie für ihre Hochzeit mit Darchambaux brauchte, nichts mehr von sich hören lassen.«
    Der Inspektor sah den Kommissar forschend an.
    »Was haben Sie denn?«
    »Pst!«
    Aber so sehr Lucas sich auch umschaute, er sah nichts, das die Reaktion seines Chefs hätte erklären können.
    Dann führte Maigret ihn bis zur Trennwand des Stalles und zeigte ihm die Gestalt, die im Stroh ausgestreckt lag.
    Die Schiffersfrau fragte sich, was sie vorhatten. Von einem vorbeifahrenden Motorboot rief eine fröhliche Stimme herüber:
    »Na? Kleine Panne?«
    Sie begann wieder zu weinen, ohne zu wissen warum. Ihr Mann kam an Bord zurück, einen Eimer Pech in der einen und eine Bürste in der anderen Hand, und rief vom Achterdeck aus:
    »Da brennt irgend etwas auf dem Herd an.«
    Automatisch lief sie in die Küche. Und Maigret sagte beinahe widerwillig zu Lucas:
    »Gehen wir hinunter …«
    Eines der Pferde wieherte leise. Der Treidler rührte sich nicht.
    Der Kommissar hatte das Foto der toten Frau aus seiner Brieftasche genommen, sah es aber nicht an.

10
    Die beiden Ehemänner
    Hör zu, Darchambaux …«
    Maigret hatte das gesagt, während er vor dem Treidler stand und forschend in dessen Gesicht hinabsah. Ohne es zu merken,

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