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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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War es Rache? Nein, eigentlich nicht. Eher ein obskures Bedürfnis, die Frau, die einst versprochen hatte, ein Leben lang die seine zu sein, auf sein Niveau herabzuziehen …
    »Und drei Tage lang lebte Mary Lampson in diesem Versteck, hier im Stall, beinahe freiwillig.
    Denn sie hatte Angst. Angst vor diesem Schatten der Vergangenheit, bei dem sie spürte, daß er zu allem fähig war, und der ihr befahl, ihm zu folgen! Und sie hatte vor allem deshalb solche Angst, weil sie sich des feigen Verrats bewußt war, den sie begangen hatte.
    Sie war von allein gekommen. Und Sie, Jean, Sie brachten ihr Corned Beef und roten Landwein. Zwei Nächte nacheinander teilten Sie Ihr Lager, nach den endlosen Etappen entlang der Marne. In Dizy …«
    Noch einmal bewegte sich der Sterbende. Aber ihm fehlte die Kraft. Er fiel zurück, schlaff und wie leblos.
    »Sie muß aufbegehrt haben. Sie konnte ein solches Leben nicht länger ertragen. Da haben Sie sie erdrosselt, in einem Augenblick der Wut, um sie zu hindern, Sie ein zweites Mal zu verlassen. Sie haben die Leiche in den Pferdestall gebracht … So war es doch?«
    Er mußte die Frage fünfmal wiederholen. Dann endlich bewegten sich die Augenlider.
    »Ja«, antworteten sie teilnahmslos.
    Auf Deck hörte man ein Geräusch. Der Colonel hielt die Brüsselerin zurück, die näher kommen wollte. Sie gehorchte, eingeschüchtert durch seine feierliche Miene.
    »Der Leinpfad. Ihr gewohntes Leben, wie zuvor, den Kanal entlang. Aber Sie waren unruhig. Sie hatten Angst. Denn Sie hatten Angst zu sterben, Jean. Angst, wieder ergriffen zu werden. Angst vor der Sträflingskolonie. Vor allem aber eine entsetzliche Angst davor, Ihre Pferde verlassen zu müssen, Ihren Stall, Ihr Strohlager, die kleine Ecke, die Ihre Welt geworden war. Also nahmen Sie eines Nachts das Fahrrad eines Schleusenwärters. Ich hatte Ihnen einige Fragen gestellt. Sie merkten, welchen Verdacht ich hatte. Sie fuhren nach Dizy zurück und schlichen dort herum, in der Absicht, irgend etwas zu unternehmen, um den Verdacht von sich abzulenken.
    Stimmt es?«
    Jean war nun so vollkommen ruhig, daß man ihn für tot hätte halten können. Sein Gesicht drückte nur noch Überdruß aus. Aber seine Augenlider senkten sich noch einmal.
    »Als Sie ankamen, war alles dunkel an Bord der ›Southern Cross‹. Sie mußten annehmen, daß alle schliefen. Oben auf Deck lag eine Schiffermütze zum Trocknen. Sie nahmen sie an sich und gingen zum Stall hinüber, um sie dort unter dem Stroh zu verstecken. Damit wollten Sie den Gang der Ermittlungen beeinflussen und den Verdacht auf die Bewohner der Yacht lenken.
    Sie konnten nicht wissen, daß Willy Marco, der allein an Land gegangen war, Sie beobachtet hatte, wie Sie die Mütze nahmen, und Ihnen auf Schritt und Tritt folgte. Er wartete an der Tür des Pferdestalles, bis Sie wieder herauskamen. Dabei verlor er einen Manschettenknopf. Neugierig folgte er Ihnen dann auf Ihrem Weg zurück zu der Steinbrücke, wo Sie das Fahrrad hatten stehen lassen.
    Hatte er Sie angesprochen? Oder hörten Sie ein Geräusch hinter sich? Es kam zu einem Handgemenge. Sie töteten ihn, mit Ihren furchtbaren Händen, die schon Mary Lampson erwürgt hatten. Sie schleiften seine Leiche bis zum Kanal.
    Dann müssen Sie mit gesenktem Kopf weitergegangen sein. Auf dem Weg sahen Sie etwas Glänzendes liegen, die Plakette vom Y.C.F. Und auf gut Glück, weil das Abzeichen irgendwem gehören mußte oder Sie es sogar im Knopfloch des Colonels gesehen hatten, warfen Sie es dorthin, wo der Kampf stattgefunden hatte … Antworten Sie, Darchambaux. Haben sich die Dinge so abgespielt?«
    »He, die ›Providence‹ – habt ihr eine Panne?« rief erneut ein Schiffer, dessen Lastkahn so dicht vorbeifuhr, daß man seinen Kopf in Höhe der Luke vorbeigleiten sah.
    Es war ein seltsamer und ergreifender Anblick, zu sehen, wie Jeans Augen feucht wurden. Er schlug die Augen auf und nieder, sehr rasch, wie um alles zu gestehen, um ein Ende zu machen. Er hörte die Schiffersfrau vom Heck aus, wo sie wartete, zurückrufen:
    »Es ist wegen Jean; er ist verletzt.«
    Maigret sagte, während er sich erhob:
    »Gestern abend, als ich Ihre Stiefel untersuchte, wurde Ihnen klar, daß ich unweigerlich die Wahrheit herausfinden würde. Sie wollten sich umbringen, indem Sie sich in den Strudel der Schleuse stürzten.«
    Aber der Treidler war so schwach und atmete so mühsam, daß der Kommissar nicht einmal eine Antwort abwartete. Er gab Lucas ein Zeichen und

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