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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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blickte sich ein letztes Mal um.
    Ein Sonnenstrahl drang schräg in den Stall und fiel auf das linke Ohr des Treidlers und den Huf eines der Pferde.
    In dem Moment, als die beiden Männer hinausgingen und nicht wußten, was sie noch hätten sagen können, versuchte Jean noch einmal mit verzweifelter Anstrengung zu sprechen, ohne sich um den Schmerz zu kümmern. Er richtete sich halb auf seinem Lager auf, die Augen irr.
    Maigret kümmerte sich nicht sogleich um den Colonel. Er winkte die Frau, die von weitem zu ihm herübersah, zu sich heran.
    »Und? Wie geht es ihm?« fragte sie.
    »Bleiben Sie bei ihm.«
    »Kann ich? Sie werden ihn nicht mehr …«
    Sie wagte den Satz nicht zu beenden. Sie erstarrte, als sie Jean undeutlich wimmern hörte, der Angst zu haben schien, allein zu sterben.
    Dann lief sie plötzlich zum Pferdestall.
     
    Wladimir saß auf der Ankerwinde der Yacht, eine Zigarette zwischen den Lippen, seine weiße Mütze schief auf dem Kopf, und spleißte ein Tau.
    Ein Polizist wartete auf dem Kai, und Maigret fragte ihn vom Schleppkahn aus:
    »Was gibt es?«
    »Wir haben die Antwort aus Moulins.«
    Er reichte ihm ein Schreiben, das schlicht lautete:
     
    Die Bäckersfrau Marie Dupin gibt an, in Etampes eine Großkusine namens Céline Mornet gehabt zu haben.
     
    Nun betrachtete Maigret den Colonel vom Kopf bis zu den Füßen. Er trug seine weiße Mütze mit dem großen Schild. Seine Augen waren kaum verschwommen; wahrscheinlich ein Zeichen dafür, daß er relativ wenig Whisky getrunken hatte.
    »Sie hatten die ›Providence‹ in Verdacht, nicht wahr?« sagte er ihm auf den Kopf zu.
    Das drängte sich geradezu auf. Hätte Maigret nicht auch den Treidelkahn verdächtigt, wenn ihm nicht die Bewohner der Yacht eine Zeitlang suspekt gewesen wären?
    »Warum haben Sie mir nichts davon gesagt?«
    Die Antwort wäre des Dialogs zwischen Sir Walter und dem Untersuchungsrichter, in Dizy, würdig gewesen.
    »Ich wollte das selbst erledigen. «
    Und das genügte, um deutlich zu machen, was der Colonel von der Polizei hielt.
    »Meine Frau?« fragte er sogleich.
    »Wie Sie selbst gesagt haben, und Willy Marco auch: sie war eine reizende Frau …«
    Maigret sagte das ohne Ironie. Außerdem achtete er mehr auf die Geräusche, die aus dem Pferdestall kamen, als auf diese Unterhaltung.
    Man hörte das gedämpfte Murmeln einer einzigen Stimme, der der Schiffersfrau, und es klang, als tröste sie ein krankes Kind.
    »Als sie Darchambaux heiratete, hatte sie schon einen Hang zum Luxus. Und wahrscheinlich hat der arme Doktor, der er war, ihretwegen beim Tode seiner Tante ein wenig nachgeholfen. Das soll nicht heißen, daß sie seine Komplizin war. Ich will damit nur sagen, daß er es für sie getan hatte! Und das wußte sie so genau, daß sie vor Gericht geschworen hat, ihm zu folgen.
    Eine reizende Frau. Was aber nicht das gleiche ist wie eine Heldin. Die Lebenslust war stärker. Das müßten Sie doch verstehen, Colonel.«
    Es gab Sonne, Wind und drohende Wolken, alles zur gleichen Zeit. Von einer Minute auf die andere konnte ein Platzregen niedergehen. Die Beleuchtung war eigenartig.
    »Aus der Verbannung kommt so leicht keiner zurück. Sie war hübsch. Alle Freuden des Lebens lagen in ihrer Reichweite. Nur ihr Name stand ihr im Weg. An der Côte d’Azur dann, wo sie einen ersten Verehrer kennengelernt hatte, der bereit war, sie zu heiraten, kam sie auf die Idee, sich aus Moulins die Geburtsurkunde einer entfernten Kusine kommen zu lassen, an die sie sich erinnerte.
    Nichts leichter als das! Das geht so einfach, daß man zur Zeit ernsthaft überlegt, ob man den Neugeborenen Fingerabdrücke abnehmen und auf den Personenstandsurkunden anbringen soll.
    Sie ließ sich scheiden. Sie wurde Ihre Frau.
    Eine reizende Frau. Nicht berechnend, dessen bin ich sicher. Aber sie liebte das Leben, nicht wahr? Sie liebte die Jugend, die Liebe, den Luxus. Aber hin und wieder flackerte wohl etwas in ihr wieder auf, das sie zu unerklärlichen Eskapaden trieb.
    Wissen Sie, ich bin überzeugt, daß sie Jean weniger seiner Drohungen wegen gefolgt ist als aus einem Bedürfnis heraus, sich vergeben zu lassen.
    Am ersten Tag, den sie in ihrem Versteck an Bord des Treidelkahns verbrachte, inmitten der starken Gerüche des Pferdestalls, muß sie ein seltsames Gefühl der Befriedigung bei dem Gedanken empfunden haben zu sühnen. Das gleiche Gefühl wie damals, als sie den Geschworenen zurief, daß sie ihrem Mann nach Guayana folgen würde.
    Reizende

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