Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Dienst nehmen …«
»Pah! Dieses Schloß wird bald billig zu haben sein …«
Diesmal schaute Maigret stirnrunzelnd zu Saint-Fiacre hinüber, von dem dieser Einwurf kam, in einer seltsam ausdruckslosen, irgendwie gekünstelten Stimme. Trotzdem hatten diese Zwischenbemerkungen etwas Mißtönendes. War er nun doch mit seinen Nerven am Ende? Oder war es eine makabre Art zu scherzen?
»Hühnchen in Halbtrauer …«, kündigte er an, als der Maître d’hôtel in der Tat Hühnchen an Trüffelsauce au f trug.
Und ohne Übergang, mit der gleichen nüchternen Stimme:
»Der Mörder wird Hühnchen in Halbtrauer essen, wie die übrigen!«
Der Arm des Maitre d’hôtel schob sich zwischen die Gäste. Die Stimme des Gutsverwalters artikulierte mit komischer Weinerlichkeit:
»Oh, aber Herr Graf …«
»Doch! Was ist daran denn erstaunlich? Der Mörder ist hier, ganz zweifellos! Aber das soll Ihnen den Appetit nicht verderben, Herr Pfarrer! Auch der Leichnam ist im Hause, und das hindert uns nicht, zu tafeln … Etwas Wein für den Herrn Pfarrer, Albert! …«
Der Fuß berührte abermals den Knöchel Maigrets, der seine Serviette fallen ließ und sich unter den Tisch bückte, jedoch zu spät. Als er sich wieder aufrichtete, sagte der Graf, ohne aufzuhören, sein Hühnchen zu ze r legen:
»Ich erwähnte vorhin Walter Scott wegen der Atmosphäre, die in diesem Raum herrscht, aber auch und vor allem wegen des Mörders … Im Grunde, nicht wahr, ist dies eine Totenwache … Die Bestattung findet morgen statt, und es ist wahrscheinlich, daß wir uns bis dahin nicht trennen … Es kann Monsieur Métayer wenigstens als Verdienst angerechnet werden, daß er den Spiritu o senkeller mit ausgezeichnetem Whisky gefüllt hat …«
Und Maigret versuchte, sich zu erinnern, wieviel Saint-Fiacre getrunken hatte. Weniger als der Anwalt jedenfalls, der ausrief:
»Ausgezeichnet! Tatsächlich! Doch mein Klient ist ja schließlich der Enkel von Weinbauern, und …«
»Ich sagte … Was sagte ich eigentlich? … Ah, ja! … Schenken Sie dem Herrn Pfarrer nach, Albert! … – Ich sagte, der Mörder sei hier. Somit spielen die anderen gewissermaßen die Rolle von Richtern … Und dadurch gleicht unsere Versammlung einer Szene von Walter Scott … In Wirklichkeit, wohlgemerkt, riskiert besagter Mörder nichts. Nicht wahr, Kommissar? … Es ist kein Verbrechen, ein Blatt Papier in ein Meßbuch zu stecken … In diesem Zusammenhang, Doktor … Wann hatte meine Mutter ihre letzte Herzattacke?«
Der Arzt wischte sich die Lippen ab, wandte sich ihm mit verdrossener Miene zu:
»Vor drei Monaten, als Sie von Berlin aus telefonierten, Sie seien krank, lägen in einem Hotelzimmer und …«
»Ich wollte Moneten! So war’s!«
»Ich habe damals gewarnt, daß die nächste heftige Aufregung verhängnisvoll werden könnte.«
»So, daß … Überlegen wir mal … Wer wußte davon? Jean Métayer, gewiß … Ich, selbstverständlich! … Vater Gautier, der fast zum Haus gehört … Schließlich Sie und der Herr Pfarrer …«
Er goß in einem Zug ein Glas Pouilly hinunter, verzog den Mund und fuhr fort:
»Demnach kommen wir logischerweise fast alle als Schuldige in Betracht. Wenn es Sie amüsiert …«
Man hätte annehmen können, daß er absichtlich die unpassendsten Worte wählte.
»… Wenn es Sie amüsiert, werden wir nun den Fall jedes einzelnen von uns prüfen … Fangen wir mit dem Herrn Pfarrer an … Hatte er ein Interesse daran, meine Mutter umzubringen? … Sie werden sehen, daß die Antwort nicht so einfach ist, wie es scheint … Ich lasse die Geldfrage beiseite …«
Der Priester erstickte nahezu, wollte fast aufstehen.
»Zu erhoffen hatte der Pfarrer nichts … Aber er ist ein Mystiker, ein Apostel, fast ein Heiliger … Er hatte es mit einer absonderlichen Gläubigen zu tun, die sich skandalös aufführte … Bald eilte sie zur Kirche wie die frömmste Betschwester, bald ließ sie im Schloß das L a ster regieren … Aber, nein! Machen Sie doch nicht solch ein Gesicht, Métayer … Wir sind unter Männern … Wir treiben, wenn Sie wollen, angewandte Psychologie … Der Herr Pfarrer ist von so glühender Gläubigkeit, daß er dadurch zu gewissen Extremen gedrängt sein könnte. Denken Sie an die Zeiten zurück, in denen man Sünder verbrannte, um sie zu läutern! … Meine Mutter nimmt an der Messe teil … Sie hat soeben kommuniziert … Sie ist im Stand der Gnade … Doch wenig später wird sie wieder dem Laster verfallen und
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