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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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abermals ein Gegenstand des Skandals sein … Wenn sie stürbe, da in ihrem Betstuhl, von ihren Sünden erlöst …«
    »Aber …«, begann der Priester, der Tränen in den A u gen hatte und sich am Tisch festhielt, um Ruhe zu b e wahren.
    »Ich bitte Sie, Herr Pfarrer … Wir machen doch bloß in Psychologie. Ich will zeigen, daß auch sittenstrengste Leute schlimmster Gewalttaten verdächtigt werden kö n nen … Beim Arzt jetzt, da fällt es mir schwerer … Ein Heiliger ist er nicht … Und was ihn rettet, ist, daß er nicht einmal als Wissenschaftler gelten kann … Denn sonst hätte er die Sache mit dem Papierblatt arrangieren können, um experimentell die Widerstandskraft eines kranken Herzens zu erforschen …«
    Das Geklapper der Gabeln hatte derart nachgelassen, daß man es kaum noch vernahm. Und die Blicke waren starr, beunruhigt, sogar verstört. Nur der Maître d’hôtel füllte weiterhin ungerührt geräuschlos Gläser auf, mit der Regelmäßigkeit eines Automaten.
    »Sie sehen so bedrückt aus, Messieurs … Kann man denn wirklich nicht, unter intelligenten Leuten, gewisse Dinge zur Sprache bringen? … Tragen Sie den nächsten Gang auf, Albert … Also, lassen wir den Arzt ausscheiden, nachdem er weder als Wissenschaftler noch als Fo r scher in Betracht kommt … Seine geistige Mittelmäßigkeit ist es, die ihn entlastet!«
    Er lachte kurz, wandte sich Vater Gautier zu:
    »Nun sind Sie dran … Ein komplexer Fall … Wir gehen nach wie vor vom Standpunkt des Denkspielers aus, nicht wahr? … Zwei Eventualitäten … Gemäß der ersten sind Sie der musterhafte Verwalter, der integre Mann, der sein Leben seiner Herrschaft widmet, dem Schloß, das seine Geburt erlebte … Ihre Geburt hat es zwar nicht erlebt, aber das spielt keine Rolle. Verhält es sich so, dann ist Ihre Situation zwiespältig: Die Saint-Fiacre haben nur einen männlichen Erben. Und der Familienbesitz ist im Begriff, diesem Erben Stück um Stück zu entgehen. Die Gräfin benimmt sich wie eine Irre … Ist es nicht Zeit zu retten, was sich noch retten läßt? … Das wäre edel, ganz im Stil Walter Scotts, und Ihr Fall ähnlich jenem des Pfarrers … Aber es gibt auch die umgekehrte Möglichkeit! Sie sind ein Schuft, der seit Jahren von den Schwächen seiner Herrschaft profitiert und sie ausnützt … Die Höfe, die verkauft werden müssen, die kaufen Sie unter der Hand auf … Die Hyp o theken, die übernehmen Sie … Werden Sie nicht wütend, Gautier … Ist etwa der Herr Pfarrer wütend g e worden? … Und das ist noch nicht alles … Sie sind be i nahe der eigentliche Besitzer des Schlosses.«
    »Herr Graf!«
    »Sind Sie nicht fähig mitzuspielen? Ich sagte, wir ve r anstalten ein Denkspiel! Wir spielen gleichsam, als ob wir alle Polizeikommissare wären, wie Ihr Tischnachbar … Jetzt sind wir so weit, daß die Gräfin am Ende ist und alles liquidiert werden muß, wobei herauskommen wird, wie Sie die Situation ausgenützt haben … Wäre es nicht am besten, wenn die Gräfin brav stürbe, was es ihr zudem ersparen würde, die Armut kennenzulernen?«
    Und sich an den Maître d’hôtel wendend, den Schatten im Schatten, der Spukgestalt mit zwei kreideweißen Händen:
    »Albert! … Holen Sie den Revolver meines Vaters … Sofern er noch vorhanden ist.«
    Er schenkte sich und seinen beiden Tischnachbarn ein, reichte die Flasche dann Maigret:
    »Würden Sie auf Ihrer Seite nachgießen? … Ha! Wir haben die Hälfte des Spiels hinter uns … Doch warten wir auf Albert … Monsieur Métayer … Trinken Sie nicht?«
    Ein ersticktes »Danke« ließ sich vernehmen.
    »Und Sie, Maître?«
    Der Anwalt, mit vollem Mund und schwerer Zunge, antwortete:
    »Danke! Danke! Ich bin mit allem versorgt … Sagen Sie mal! … Wissen Sie, daß Sie einen großartigen Staat s anwalt abgeben würden?«
    Als einziger lachte er, aß mit geradezu unanständigem Appetit, trank Glas um Glas, bald Burgunder, bald Bo r deaux, ohne nur den Unterschied zu bemerken.
    Von der schwachen Glocke der Kirche hörte man zehn Uhr schlagen. Albert kam mit einem schweren Trommelrevolver zurück, reichte ihn dem Grafen, der nachschaute, ob er geladen war.
    »In Ordnung! … Ich lege ihn hier hin, in die Mitte des Tisches, der ja rund ist … Sie sehen, Messieurs, daß er sich gleich weit von jedem von uns befindet … Drei Fälle haben wir untersucht … Wir werden drei weitere prüfen … Gestatten Sie mir zunächst eine Voraussage? … Nun, um in der Tradition und im Stil

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