Maigret und die Affäre Saint Fiacre
Walter Scotts zu bleiben, kündige ich an, daß der Mörder meiner Mutter noch vor Mitternacht tot sein wird!«
Maigret warf ihm über den Tisch einen scharfen Blick zu, bemerkte die allzu glänzenden Augen, als ob Saint-Fiacre betrunken wäre. Im gleichen Augenblick berührte wiederum ein Fuß den seinen.
»Und jetzt fahre ich fort … Aber essen Sie doch Ihren Salat! … Ich nehme Ihren Nachbarn zur Linken dran, Kommissar, Emile Gautier … Ein seriöser, fleißiger Bu r sche, der, wie man bei Preisverleihungen sagt, sich allein durch Fähigkeit und beharrlichen Einsatz hochgearbe i tet hat …
War er zu einem Mord imstande? …
Eine Hypothese: Er tat es für seinen Vater und steckte mit ihm unter einer Decke … Er fährt jeden Tag nach Moulins … Er ist es, der die Finanzlage der Familie am besten kennt … Es ist für ihn leicht, einen Drucker oder einen Setzer aufzusuchen. – Schauen wir weiter! Zweite Hypothese … Nehmen Sie es mir nicht übel, Métayer, wenn ich Ihnen, falls Sie es nicht wissen sollten, verrate, daß Sie einen Rivalen haben … Emile Gautier ist kein Adonis … Trotzdem hat er vor Ihnen den Platz eing e nommen, den Sie so diskret ausfüllten … Das ist einige Jahre her … Hat er sich gewisse Hoffnungen gemacht? … Ist es ihm inzwischen gelungen, das allzu empfängl i che Herz meiner Mutter abermals zu rühren? … Jede n falls ist er ihr offizieller Schützling gewesen, dem alle Ambitionen erlaubt waren … Dann kamen Sie … Und Sie siegten … Die Gräfin umbringen und zugleich den Verdacht auf Sie lenken …«
Maigret taten nachgerade die Zehen in den Schuhen weh. Das alles war gräßlich, eine Lästerung! Saint-Fiacre redete mit der Exaltiertheit des Betrunkenen. Und die anderen fragten sich, ob sie bis zum Schluß durchhalten würden, ob sie bleiben und diese Szene über sich ergehen lassen oder aufstehen und davonlaufen sollten.
»Sie sehen, die Phantasie spinnt ihre Fäden … Beachten Sie, daß die Gräfin selbst, wenn sie dort oben reden könnte, nicht in der Lage wäre, das Mysterium für uns zu enträtseln. Der Mörder ist absolut als einziger über sein Verbrechen im Bild … Essen Sie, Emile Gautier … La s sen Sie sich vor allem nicht so beeindrucken wie Ihr Vater, der sich am Rand einer Ohnmacht zu befinden scheint … A l bert! … Es müssen doch noch ein paar Flaschen irgendwo in einem Regal liegen … Jetzt zu Ihnen, junger Mann!«
Und er wandte sich lächelnd an Métayer, der aufschnellte.
»Monsieur, mein Anwalt …«
»Setzen Sie sich, zum Teufel! Und bringen Sie uns nicht auf den Gedanken, daß Sie, in Ihrem Alter, keinen Spaß verstehen.«
Während er das sagte, schaute Maigret ihn an, und er bemerkte, daß dicke Schweißtropfen die Stirn des Gr a fen bedeckten.
»Keiner von uns versucht, sich besser zu machen als er ist, nicht wahr? Gut. Ich merke, daß Sie anfangen zu begreifen. Nehmen Sie Obst? Das ist ausgezeichnet für die Verdauung …«
Es war unerträglich heiß, und Maigret überlegte, wer die elektrische Beleuchtung abgeschaltet haben mochte, so daß nur noch die Kerzen auf dem Tisch brannten.
»Ihr Fall ist so einfach, daß er eigentlich uninteressant wird … Sie spielten eine wenig verlockende Rolle, eine Rolle, die man nicht lang zu spielen bereit ist … En d lich waren Sie als Miterbe im Testament aufgeführt … Doch dieses Testament konnte jeden Augenblick geändert werden … Ein plötzlicher Tod, und alles war gut! Sie waren frei! Sie ernteten die Früchte Ihres … Ihrer Aufopferung … Und Sie konnten irgendein Mädchen aus der Gegend heiraten, das Sie im Auge haben müssen …«
»Pardon?« warf der Anwalt ein, so drollig, daß Maigret ein Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte.
»Maul halten! Trinken Sie!«
Saint-Fiacre trat kategorisch auf. Er war betrunken, daran ließ sich nicht mehr zweifeln. Er hatte die für B e trunkene typische Sprechweise, eine Mischung von Hemmungslosigkeit und Raffinesse, von Wortgewandtheit und verschluckten Silben.
»Jetzt bleibe bloß ich noch übrig!«
Er rief Albert.
»Hören Sie, mein Guter, Sie gehen jetzt dort hinauf … Es muß trostlos sein für meine Mutter, ganz allein zu bleiben …«
Maigret erhaschte den fragenden Blick, den der Maître d’hôtel dem alten Gautier zuwarf, der durch Senken der Augenlieder Bejahung signalisierte.
»Einen Augenblick! Stellen Sie zuerst noch alle Flaschen auf den Tisch … Auch den Whisky … Daß wir es mit der korrekten Getränkefolge nicht
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