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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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eingeladen, an unserem Mahl teilzunehmen …«
    Maigret betrachtete die Frisur des Bankangestellten, und trotz seiner nervösen Spannung konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das Haar war feucht. Bevor er das Schloß betrat, hatte der junge Mann seinen Scheitel frisch gezogen, sich Gesicht und Hände gewaschen, eine andere Krawatte angelegt.
    »Zu Tisch, meine Herren!«
    Und der Kommissar meinte, mit Sicherheit ein Aufschluchzen in der Stimme des Grafen gehört zu haben. Doch niemand sonst merkte etwas davon, weil der Arzt ungewollt für Ablenkung sorgte, als er eine der verstau b ten Flaschen hochhob und murmelte:
    »Was! … Sie haben noch vom 1896 er Hospice de Beaune … Ich glaubte, daß die letzten Flaschen vom Restaurant Larue aufgekauft wurden, und …«
    Der Rest ging im Lärm der zurechtgerückten Stühle unter. Der Priester, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, nur die Lippen bewegend, sprach das Tischgebet.
    Maigret fing den eindringlichen Blick auf, den Saint-Fiacre auf ihm ruhen ließ.
    9
    Im Zeichen von Walter Scott
    D
    as Speisezimmer war derjenige Raum im Schloß, der am wenigsten von seinem Charakter verloren hatte, dank dem geschnitzten Täfelwerk, das die Wände bis zur Decke bekleidete. Im übrigen war der Raum höher als breit, was ihn nicht nur feie r lich, sondern auch bedrückend düster machte, denn man hatte den Eindruck, auf dem Grund eines Schachts zu essen.
    An jedem Feld der Täfelung zwei jener elektrischen Wandleuchten, die Kerzen imitieren, einschließlich der fa l schen Wachstropfen. In der Mitte des Tisches ein wirklicher Kerzenleuchter, siebenarmig, mit sieben echten Ke r zen.
    Der Graf de Saint-Fiacre und Maigret saßen einander gegenüber, konnten sich jedoch nur sehen, wenn sie sich aufrichteten, um über die Flammen hinwegzublicken.
    Zur Linken des Grafen der Priester. Rechts Dr. Bouchardon. Der Zufall hatte Jean Métayer auf einer Seite des Tisches Platz nehmen lassen, den Anwalt auf der anderen. Und der Kommissar war vom Gutsverwalter e i nerseits, von Emile Gautier anderseits flankiert.
    Der Maître d’hôtel trat ab und zu in den Lichtkreis, um die Gäste zu bedienen, doch sobald er zwei Schritte zurückwich, versank er im Schatten, und man sah nur noch seine weiß behandschuhten Hände.
    »Finden Sie nicht, daß man sich in einen Roman von Walter Scott versetzt wähnen könnte?«
    Es war der Graf, der sprach, mit gleichmütiger Stimme. Und doch spitzte Maigret die Ohren, denn er spürte eine Absicht, erriet, daß etwas in Gang kam.
    Man war erst beim Hors d’œuvre. Auf dem Tisch standen durcheinander an die zwanzig Flaschen Weiß- und Rotwein, Bordeaux und Burgunder, und jeder wählte nach Belieben.
    »Nur etwas stimmt nicht …«, fuhr Maurice de Saint-Fiacre fort. »Bei Walter Scott würde die arme Alte da oben plötzlich zu schreien anfangen …«
    In den nächsten Sekunden hörte jedermann auf zu kauen, und es war, als wehe ein eisiger Luftzug durch den Raum.
    »Übrigens, Gautier, hat man sie ganz allein gelassen?«
    Der Verwalter schluckte hastig, stammelte:
    »Die … Ja … Es ist niemand im Zimmer der Frau Gräfin …«
    »Das muß nicht gerade heiter sein!«
    In diesem Augenblick berührte ein Fuß denjenigen Maigrets nachdrücklich, doch der Kommissar vermochte nicht zu erraten, wem dieser Fuß gehörte. Der Tisch war rund. Jedermann konnte bis zur Mitte reichen. Und Maigrets Ungewißheit sollte weiter andauern, denn die Fußzeichen kamen in zunehmend rascherer Kadenz.
    »Hat sie heute viele Leute zu Besuch gehabt?«
    Es war peinlich, ihn von seiner Mutter reden zu hören, als ob sie lebte, und der Kommissar bemerkte, wie Jean Métayer davon so betroffen war, daß er zu essen aufhörte und aus seinen immer stärker umschatteten Augen vor sich hin starrte.
    »Fast alle Bauern der Gegend!« antwortete die tiefe Stimme des Gutsverwalters.
    Wenn der Maître d’hôtel eine sich nach einer Flasche ausstreckende Hand bemerkte, trat er unhörbar hinzu.
    Man sah seinen schwarzen Arm auftauchen, mit dem weißen Handschuh voraus. Der Wein floß. Das spielte sich so lautlos ab, mit einem derartigen Geschick, daß der Anwalt, mehr als angeheitert, voll Bewunderung den Ablauf drei- oder viermal provozierte. Er beobachtete entzückt diesen Arm, der nie seine Schulter auch nur streifte. Schließlich hielt er nicht mehr an sich:
    »Großartig! Maître d’hôtel, Sie sind unübertrefflich, und wenn ich mir ein Schloß leisten könnte, würde ich Sie in meinen

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