Maigret und die alte Dame
sich zu bereitwillig analysieren und beschuldigen zu wollen.
»Mama schläft noch nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Das kleine Licht, das Sie sehen, kommt aus dem Salon.«
»Wann fährt Ihr Zug morgen?«
»Ich wäre gern mit dem um acht Uhr gefahren, wenn Sie mich hier nicht mehr brauchen. In diesem Fall würde ich Julien anrufen und ihm sagen, dass Mama mich braucht.«
»Weiß er, dass Sie Ihre Mutter hassen?«
»Ich hasse sie nicht. Ich liebe sie nicht; Punkt, das ist alles. Kann ich mit dem Zug um acht Uhr fahren?«
»Ja.«
»Sehe ich Sie noch vor der Abfahrt?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Vielleicht wollen Sie sich vor meiner Abreise vergewissern, dass Mama noch am Leben ist.«
»Vielleicht.«
Sie waren einen steiler abfallenden Hang hinuntergestiegen und standen nun auf der Straße, ungefähr fünfzig Meter vom Zaun von La Bicoque entfernt.
»Kommen Sie noch mit herein?«
»Nein.«
Die Fenster, deren Lichtschein nur zu ahnen war hinter den dichten Büschen, konnte man nicht sehen.
»Gute Nacht, Monsieur Maigret!«
»Gute Nacht!«
Sie zögerte zu gehen.
»Sind Sie mir noch böse?«
»Ich weiß nicht. Gehen Sie schlafen.«
Er vergrub die Hände in den Taschen und ging mit großen Schritten in Richtung Stadt.
Wirre Gedanken gingen ihm im Kopf herum, und jetzt, nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte, kamen ihm hundert Fragen, die ihm vorher nicht eingefallen waren. Er machte sich Vorwürfe, dass er ihr erlaubt hatte, am nächsten Morgen abzufahren, und war nahe daran, ihr nachzugehen und ihr zu sagen, sie müsse bleiben.
War es nicht doch ein Fehler gewesen, die beiden Frauen heute Nacht zusammen zu lassen? Wenn sich nun die Szene vom Nachmittag in einer Schärfe und Heftigkeit wiederholen würde, die gefährlich werden könnte? Er freute sich, Valentine wiederzusehen, mit ihr zu reden, wieder in ihrem Salon zu sitzen inmitten all dieser naiven Nippes.
Um neun Uhr käme dann dieser lärmende Charles Besson, der ihm in den Ohren liegen würde.
Die Stadt war wie ausgestorben, und das Kasino war, da alle Gäste gegangen waren, schon dunkel. Nur noch eine Bar an einer Straßenecke war erleuchtet, es war eher ein Bistro, das im Winter wohl für die Einheimischen geöffnet war.
Maigret blieb einen Augenblick unschlüssig auf dem Bürgersteig stehen. Eigentlich hatte er Durst. Drinnen in dem gelblichen Licht sah er die ihm allmählich bekannte Figur Theo Bessons, der in seinem Tweedanzug immer noch sehr englisch wirkte.
Er hielt ein Glas in der Hand und redete mit jemand, der neben ihm stand, einem ziemlich jungen Mann im schwarzen Anzug, wie ihn die Bauern sonntags tragen, mit weißem Hemd und dunkler Krawatte; der Junge war ziemlich braun im Gesicht und hatte einen sonnenverbrannten Nacken.
Maigret drehte den Türgriff, ging an die Theke, ohne die beiden anzuschauen, und bestellte ein kleines Bier.
Jetzt konnte er sie beide im Spiegel hinter den Flaschen beobachten, und er meinte, einen Blick Theos aufgefangen zu haben, mit dem er seinen Gesprächspartner aufforderte, still zu sein.
Drückendes Schweigen herrschte in der Bar, in der sie, den Wirt mitgezählt, nur zu viert waren; eine schwarze Katze lag zusammengerollt auf einem Stuhl vor dem Ofen.
»Wir haben immer noch Nebel«, sagte der Wirt schließlich. »In dieser Jahreszeit ist das immer so. Doch die Tage sind immer noch sonnig.«
Der junge Mann drehte sich um und sah Maigret an, der seine Pfeife am Absatz ausklopfte und die heiße Asche in den Sägespänen austrat. In seinem Blick lag etwas Anmaßendes und erinnerte an diese Dorfgecken, die abends, wenn sie auf einer Hochzeit oder Beerdigung einige Gläser getrunken haben, unbedingt eine Keilerei provozieren wollen.
»Sind Sie nicht heute Morgen aus Paris gekommen?« fragte der Wirt, nur um etwas zu sagen. Maigret nickte nur mit dem Kopf, und der junge Stutzer schaute ihn jetzt noch unverwandter an. Das ging einige Minuten, in denen Theo Besson sich darauf beschränkte, mit verschwommenem Blick die Flaschen vor sich zu betrachten. Seine Hautfarbe und die Augen, vor allem die Säcke unter den Augen, waren typisch für Leute, die schon am frühen Morgen viel und regelmäßig trinken. Dafür sprachen auch sein ausdrucksloser Blick und sein etwas schlapper Gang.
»Dasselbe!« bestellte er.
Der Wirt schaute zu dem jungen Mann, der zustimmend nickte. Sie waren also zusammen hier.
Theo leerte sein Glas mit einem Zug. Der andere ebenfalls, und als der ältere Besson ein paar
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