Maigret und die Tänzerin Arlette
entschlossen.«
»Oder aber sie hat sich Mut antrinken wollen.«
»Ich frage mich«, murmelte Maigret, »ob ihre Beziehung zu dem jungen Albert…«
»Sagen Sie mal, ich habe gehört, das ist einer Ihrer Inspektoren.«
»Ich hatte zuerst auch keine Ahnung davon. Er war wirklich in sie verliebt.«
»Das habe ich gemerkt.«
»Es gibt keine Frau, die für Romantik völlig unempfänglich ist. Er hat sie gedrängt, ein anderes Leben zu beginnen, und sie hätte nur zu wollen brauchen, und er hätte sie geheiratet.«
»Glauben Sie, daß sie dadurch ihren Oskar plötzlich leid geworden ist?«
»Sie wollte jedenfalls von ihm loskommen und ist deshalb zum Revier gegangen, nur wollte sie nicht gleich zuviel sagen. Sie ließ ihm noch eine Chance, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem sie nur eine ziemlich vage Beschreibung von ihm gab und nur seinen Vornamen nannte.«
»Das ist trotzdem gemein, finden Sie nicht auch?«
»Vielleicht hat sie, als sie bei der Polizei war, ihren Entschluß schon bereut. Aber man hielt sie fest und brachte sie zum Quai des Orfevres, wo sie ihren Rausch ausschlief. Und als sie wieder nüchtern war, hat sie viel ungenauere Angaben gemacht, ja geradezu so getan, als hätte sie das alles nur aus der Luft gegriffen.«
»Ja, das ist so ganz typisch für eine Frau«, nickte Fred. »Ich möchte bloß wissen, wodurch der Kerl gewarnt worden ist. Denn er war vor ihr in der Rue Notre-Dame-de-Lorette.« Maigret betrachtete stumm seine Pfeife.
»Ich wette«, fuhr Fred fort, »Sie haben geglaubt, ich kenne ihn und wolle es nur nicht sagen.«
»Vielleicht.«
»Sie haben sogar einen Augenblick gedacht, ich wäre es.« Maigret mußte lächeln.
»Ich habe mich selber gefragt«, setzte der Wirt hinzu, »ob das Mädel nicht absichtlich eine Personenbeschreibung gegeben hat, die fast auf mich paßt, gerade weil der Mann ganz anders aussieht.«
»Nein, die Beschreibung stimmt genau.«
»Kennen Sie den Mann?«
»Er heißt Oskar Bonvoisin.«
Fred zuckte nicht einmal mit der Wimper. Der Name sagte ihm offensichtlich nichts.
»Jedenfalls, der Mann ist richtig«, murmelte er dann. »Wer es auch sei, ich ziehe meinen Hut vor ihm. Ich glaubte Montmartre wie meine Westentasche zu kennen. Ich habe mit dem Heuschreck gesprochen, der hier in jedem Winkel Bescheid weiß. Sehen Sie, Arlette hat zwei Jahre lang bei mir gearbeitet. Sie wohnte nur ein paar hundert Meter von hier entfernt. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, bin ich ihr manchmal nachgegangen, weil ich neugierig war. Nun sagen Sie selber, ist das nicht äußerst merkwürdig, daß man trotzdem von dem Kerl nichts weiß?« Er schlug mit der Hand auf die auf dem Tisch ausgebreitete Zeitung.
»Er hat auch mit der alten verrückten Gräfin verkehrt. Frauen wie die bleiben nicht unbeobachtet. Das ist eine Welt für sich, in der sich alle mehr oder weniger kennen. Aber Ihre Männer scheinen über ihn auch nicht mehr zu wissen als ich. Lognon war vorhin hier und hat versucht, mir die Würmer aus der Nase zu ziehen. Aber Fehlanzeige!«
Wieder läutete das Telefon.
»Sind Sie’s, Chef? Ich bin jetzt am Boulevard Clichy. Er ist eben in das Lokal an der Ecke der Rue Lepic gegangen und geht zwischen den Tischen herum, als suche er jemanden. Er scheint enttäuscht zu sein. Dicht daneben ist noch ein anderes Lokal. Er hat dort erst das Gesicht an die Scheibe gepreßt und ist dann hineingegangen und dann gleich in den Waschraum. Janvier ist ihm sofort gefolgt und hat die Toilettenfrau verhört. Er soll gefragt haben, ob ein gewisser Bernard etwas für ihn hinterlassen hätte.«
»Hat sie gesagt, wer Bernard ist?«
»Sie behauptet, sie habe keine Ahnung, um wen es sich handle.«
Um einen Rauschgifthändler natürlich.
»Er geht jetzt zur Place Clichy.«
Maigret hatte kaum wieder eingehängt, als das Telefon von neuem klingelte. Diesmal rief Torrence an.
»Hören Sie, Chef, als ich in die Kammer gegangen bin, um zu lüften, bin ich gegen den Koffer von Philippe gestoßen. Wir haben vergessen, ihn zurückzugeben. Glauben Sie, daß er kommen wird, um ihn abzuholen?«
»Nicht bevor er Morphium aufgetrieben hat.«
Als Maigret in den Saal zurückkam, standen Madame Rosa und Arlettes Nachfolgerin mitten auf der Tanzfläche. Fred hatte sich inzwischen wie ein Gast in eine der Boxen gesetzt und winkte Maigret zu.
»Die Nummer wird wiederholt«, sagte er mit einem Zwinkern.
Das blutjunge Mädchen hatte blondes, lockiges Haar und eine rosige Haut wie ein Baby oder
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