Maigret und die Tänzerin Arlette
ein Bauernkind, und sie hatte auch den gleichen unschuldsvollen Blick.
»Kann ich anfangen?« fragte sie.
Die Musiker waren noch nicht da, und auch die Scheinwerfer waren noch nicht eingeschaltet. Fred hatte nur noch eine weitere Lampe in der Nähe der Tanzfläche angeknipst. Er begann zu trällern und schlug dabei mit der Hand den Takt, nach dem Arlette immer ihre Entkleidungsszene vorgeführt hatte. Rosa begrüßte Maigret und erklärte dann dem Mädchen durch ein Zeichen, was es tun sollte.
Linkisch machte sie einige Bewegungen, die wie Tanzschritte aussehen sollten, wobei sie sich soviel wie möglich wand, und dann begann sie langsam, wie man es ihr gezeigt hatte, das lange, enganliegende, für ihre Figur abgeänderte, schwarze Kleid zu öffnen.
Der Blick, mit dem Fred den Kommissar ansah, sprach Bände. Sie lachten beide nicht, sondern bemühten sich sogar ein Lächeln zu unterdrücken. Erst fiel das Kleid von den Schultern, und dann von der Brust, die sich in ihrer Nacktheit in dieser Probe besonders seltsam ausnahm.
Rosa gab ihr mit der Hand einen Wink, einen Augenblick in dieser Stellung zu verharren, und das Mädchen blickte mit ängstlich starren Augen unverwandt auf diese Hand.
»So, und nun einmal ganz herum um die Fläche«, kommandierte Fred, der sofort wieder zu trällern begann. »Nicht so schnell… Tra… la… la… la… Gut.« Wieder winkte Rosas Hand, was bedeutete: nun die andere Brust.
Und immer weiter glitt das Kleid herunter. Jetzt sah man schon den entblößten Nabel, und dann ließ das Mädchen mit einer unbeholfenen Bewegung das Kleid ganz fallen und stand splitternackt mitten auf der Tanzfläche, wobei es sich schamhaft die Hände vor den Schoß hielt.
»Na, ja, für heute geht’s«, seufzte Fred. »Du kannst dich wieder anziehen, Liebling.« Sie ergriff ihr Kleid und verschwand in der Küche. Rosa setzte sich einen Augenblick zu den beiden Männern.
»Die Gäste werden sich eben begnügen müssen. Mehr konnte ich nicht aus ihr herausholen. Sie macht das, als tränke sie eine Tasse Kaffee. Es ist aber reizend von Ihnen, Kommissar Maigret, daß Sie wieder bei uns vorbeischauen.«
Sie meinte das aufrichtig, sagte genau, was sie dachte.
»Glauben Sie, daß Sie den Mörder fassen werden?«
»Monsieur Maigret hofft ihn noch heute nacht dingfest zu machen«, antwortete ihr Mann.
Sie blickte sie beide an, hatte das Gefühl, sie zu stören, und ging ebenfalls zur Küche. »Ich mache jetzt das Essen fertig«, sagte sie. »Sie essen doch wohl mit uns, Kommissar Maigret?«
Er sagte nicht nein. Er wußte es selber noch nicht. Er hatte sich das Picratt zu seinem »Hauptquartier« gewählt, nicht zuletzt darum, weil es ihm hier gar nicht so schlecht gefiel. Ob der kleine Lapointe sich in einer anderen Atmosphäre in Arlette verliebt haben würde?
Fred löschte die Lampen über der Tanzfläche. Sie hörten über ihren Köpfen das junge Mädchen auf und ab gehen. Dann kam sie wieder herunter in die Küche.
»Wovon sprachen wir eben?«
»Von Oskar.«
»Sie haben gewiß in allen Hotels nach ihm gefahndet.«
Es lohnte gar nicht, auf diese Frage zu antworten.
»Und er ist auch nie in Arlettes Wohnung gewesen?«
Sie waren jetzt beide beim gleichen Punkt angelangt, weil sie beide das Viertel wie das Leben, das man dort führt, genau kannten.
Wenn Oskar und Arlette in engen Beziehungen gestanden hatten, so hatten sie sich schließlich irgendwo treffen müssen.
»Ist Arlette hier nie angerufen worden?«
»Darum habe ich mich nicht gekümmert, aber wenn es öfter der Fall gewesen wäre, hätte ich es bestimmt gemerkt.«
Aber sie hatte auch kein Telefon in ihrer Wohnung. Nach der Auskunft der Concierge empfing sie nie Männerbesuch, und diese Concierge war ehrlich, was man von der in der Rue Victor-Masse nicht sagen konnte.
Lapointe hatte die Meldezettel der Hotels durchgesehen, und Janvier war in allen Hotels gewesen und sehr gründlich vorgegangen, denn er hatte dabei Freds Spur entdeckt.
Vor achtundvierzig Stunden schon war Arlettes Bild in den Zeitungen erschienen, aber noch hatte sich niemand gemeldet, der sie regelmäßig in ein bestimmtes Hotel hatte gehen sehen.
»Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe: der Kerl ist richtig!«
An Freds Stirnrunzeln sah man, daß er dasselbe dachte wie der Kommissar: der berühmte Oskar paßte in keine der üblichen Kategorien. Es war durchaus möglich, daß er im Viertel wohnte, aber er gehörte trotzdem nicht dazu.
Vergeblich versuchte man
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