Maigret und die Tänzerin Arlette
und du damit eine große Verantwortung auf dich nimmst?«
Die Erinnerung an seine Liebe zu Arlette schien plötzlich wieder in ihm aufgestiegen zu sein, denn mit etwas übertriebener Entschlossenheit sagte er: »Mir macht’s nichts aus, ob ich dabei ums Leben komme.«
»Gut. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, zu verhindern, daß ein anderer umgebracht wird. Und dafür darf man dir auf keinen Fall ansehen, daß du von der Polizei bist.«
»Glauben Sie, daß man mir das ansieht?«
»Geh in die Kleiderkammer. Suche dir da die Kleidungsstücke eines Mannes aus, der immer nur Arbeit sucht, in der Hoffnung, sie nicht zu finden. Setz aber keinen Hut auf, sondern eine Mütze. Es darf vor allem nicht übertrieben wirken.«
Maigret gab Janvier, der inzwischen zurückgekommen war, ähnliche Anweisungen.
»Man muß dich für einen Beamten halten, der von der Arbeit zurückkommt.«
Dann wählte er noch zwei Inspektoren aus, die Philippe noch nicht gesehen hatten.
Er rief alle vier in sein Büro und erklärte ihnen vor einem Plan von Montmartre, was sie tun sollten.
Es dämmerte rasch. Am Quai und am Boulevard Saint Michel brannten schon die Laternen. Maigret zögerte noch. Sollte er warten, bis es ganz dunkel geworden war? Würde es aber dann nicht schwieriger sein, Philippe in den verlassenen Straßen zu folgen, ohne daß er es und vor allem Bonvoisin merkte? »Kannst du mal einen Augenblick kommen, Torrence?«
Torrence kochte vor Wut:
»Ich geb’s auf. Mir ist schon ganz übel. Jetzt soll’s mal ein anderer versuchen, wenn er den Mut dazu hat. Aber ich…«
»Du bist in fünf Minuten fertig.«
»Wird er freigelassen?«
»Sobald die Spätausgaben der Zeitungen heraus sind.«
»Was haben die Zeitungen mit ihm zu tun?«
»Sie werden melden, daß er stundenlang ergebnislos verhört worden ist.«
»Ach so, ich verstehe.«
»Du kannst ihn jetzt noch ein bißchen ins Gebet nehmen. Dann stülpst du ihm seinen Hut auf den Kopf und schmeißt ihn ‘raus, nicht ohne ihn zu ermahnen, daß er sich ja gut aufführen soll.«
»Soll ich ihm seine Spritze wiedergeben?«
»Seine Spritze und sein Geld.«
Torrence blickte die wartenden vier Inspektoren an. »Ach dafür haben die sich wohl so kostümiert?«
Der eine der Männer holte ein Taxi, in der er unweit des Eingangs zur Kriminalpolizei wartete, bis Philippe herauskam. Die anderen bezogen an strategisch wichtigen Punkten ihre Posten.
Maigret hatte sich unterdessen noch mit dem Rauschgiftdezernat und dem Revier in der Rue La Rochefoucauld in Verbindung gesetzt.
Durch die Tür zum »Geständniszimmer«, die er absichtlich halb offen gelassen hatte, hörte man jetzt Torrences donnernde Stimme, dem es eine wahre Wonne war, Philippe nun alles ins Gesicht brüllen zu können, was er von ihm dachte.
»Nicht mal mit einer Pinzette möchte man dich Dreckstück anfassen. Dir würde das am Ende noch eine Wollust sein. Und jetzt muß ich erst das ganze Büro desinfizieren lassen. Nimm deinen Dreckmantel und setz deinen Hut auf.«
»Soll das heißen, daß ich gehen kann?«
»Ich kann dir nur sagen, ich habe deinen Anblick satt. Wir haben die Nase voll von dir, verstehst du? Nimm deine Lumpen und verschwinde, du Schwein.«
»Sie brauchen mich nicht anzupöbeln.«
»Ich pöble dich nicht an.«
»Sie sprechen zu mir sehr…«
»Mach, daß du ‘rauskommst.«
»Ich gehe ja schon… ich gehe ja schon… Schönen Dank auch.«
Eine Tür öffnete sich und schlug laut wieder zu. Im Flur war um diese Zeit niemand mehr. Nur in dem schlecht beleuchteten Wartezimmer saßen noch zwei oder drei Personen.
In dem dämmerigen langen Gang wirkte der hastig dahineilende Philippe wie ein unruhiges Insekt, das in die Freiheit zurückflatterte. Maigret, der ihn durch einen schmalen Spalt seiner Tür beobachtete, sah ihn endlich im Treppenhaus verschwinden.
Ihm war dennoch nicht ganz wohl zumute. Er schloß die Tür wieder und drehte sich zu Torrence um, der wie ein nach Ende des Stücks in seine Garderobe zurückkehrender Schauspieler erleichtert aufatmete. Torrence bemerkte aber doch, daß der Kommissar sorgenvoll und unruhig war.
»Glauben Sie, daß er umgebracht wird?«
»Ich hoffe, daß man das versuchen wird, aber daß es nicht glückt.«
»Er wird dorthin gehen, wo er hofft Morphium zu bekommen.«
»Ja.«
»Wissen Sie, wohin er gehen wird?«
»Zu Dr. Bloch.«
»Wird der ihm was geben?«
»Ich habe es ihm untersagen lassen, und er wird nicht wagen, dem
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