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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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hereinkommen.«
    Die Fotos waren so geschickt montiert, daß es Maigret fast den Atem verschlug. Plötzlich hatte er das Bild des jungen Mädchens vor Augen, nicht so, wie er sie im Regen an der Place Vintimille im Licht der Scheinwerfer gesehen hatte, auch nicht so, wie er sie dann auf der Marmorplatte des Gerichtsmedizinischen Instituts hatte liegen sehen, sondern so, wie sie am Abend zuvor ausgesehen haben mußte, als sie sich bei Mademoiselle Irene eingefunden hatte.
    Auch Lapointe schien ganz verblüfft.
    »Wie finden Sie sie, Chef?« sagte er mit zögernder Stimme. Und nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Sie ist hübsch, nicht wahr?«
    Es war nicht das Wort, das er suchte, und auch nicht das, das der Wirklichkeit entsprach. Das junge Mädchen war bestimmt hübsch, aber es war da noch etwas anderes, das sich schwer definieren ließ. Dem Fotografen war es sogar gelungen, den Augen das Leben wiederzugeben, und man hatte das Gefühl, daß sie einem eine nicht zu beantwortende Frage stellten.
    Auf zwei der Fotos hatte sie nur ihr schwarzes Kleid an, auf einem anderen trug sie den Mantel mit den braunen Karos, auf dem letzten schließlich war sie im Abendkleid. Man sah sie durch die Straßen von Paris gehen, wo einem so viele ihresgleichen in der Menge begegnen, einen Augenblick vor den Schaufenstern stehenbleiben und dann ihren Weg fortsetzen, der sie Gott weiß wohin führt.
    Sie hatte einen Vater, eine Mutter, Mitschülerinnen gehabt. Und als junges Mädchen hatten sie Männer und Frauen gekannt. Sie hatten mit ihr gesprochen und sie bei ihrem Namen genannt.
    Nun aber, da sie tot war, schien sich niemand an sie zu erinnern; niemand machte sich Sorgen um sie, als ob sie nie existiert hätte.
    »War das nicht recht schwierig?«
    »Was?«
    »Ein Modell zu finden?«
    »Nein, nur peinlich. Ein gutes Dutzend hat sich um mich gedrängt, und als ich ihnen die Kleider zeigte, wollten sie sie alle anprobieren.«
    »Vor dir?«
    »Sie sind das gewöhnt.«
    Braver Lapointe, der nach zwei Jahren Dienst bei der Kriminalpolizei noch zu erröten vermochte!
    »Laß die Fotos an alle polizeilichen Dienststellen in der Provinz schicken.«
    »Ich habe schon daran gedacht und mir gestattet, sie ohne Ihre Anweisung fortzuschicken.«
    »Ausgezeichnet. Hast du sie auch an die Reviere geschickt?«
    »Vor einer halben Stunde.«
    »Verbinde mich mit Lognon.«
    »In seinem Büro?«
    »Nein, in seiner Wohnung.«
    Ein paar Augenblicke später meldete sich eine Stimme am Telefon:
    »Hier ist Inspektor Lognon.«
    »Hier Maigret.«
    »Ich weiß.«
    »Ich habe Ihnen Fotos in Ihr Büro schicken lassen, die gleichen, die in einer oder zwei Stunden in den Zeitungen erscheinen werden.«
    »Soll ich wieder mit dem Rundgang beginnen?«
    Maigret hätte schwer sagen können, warum er das für wenig sinnvoll hielt. Der Besuch bei Mademoiselle Irene, die Herkunft des Abendkleids, die Zeit, zu der der Mord begangen worden war, der Tatort, all das schien darauf hinzuweisen, daß man den Mörder im Viertel der Nachtlokale zu suchen hatte.
    Warum hatte die Unbekannte um neun Uhr abends das Bedürfnis verspürt, sich ein Abendkleid zu beschaffen, wenn sie sich nicht irgendwohin begeben mußte, wo man nur im Abendkleid erscheinen kann?
    Die Vorstellungen in den Theatern hatten bereits begonnen, und abgesehen von der Oper oder bei Premieren braucht man fürs Theater nicht ein Abendkleid anzuziehen.
    »Versuchen Sie’s auf alle Fälle. Gehen Sie vor allem zu den Taxis, die Nachtdienst haben.«
    Maigret legte den Hörer auf. Lapointe war immer noch da. Er wartete auf Instruktionen, aber Maigret wußte nicht, womit er ihn beauftragen sollte.
    Ebenfalls für alle Fälle rief er in dem Geschäft in der Rue de Douai an.
    »Mademoiselle Irene?«
    »Am Apparat.«
    »Haben Sie die Adresse wiedergefunden?«
    »Ach, Sie sind’s. Nein! Ich habe überall gesucht. Ich muß den Zettel weggeworfen oder ihn benutzt haben, um die Maße einer Kundin zu notieren. Aber mir ist ihr Vorname inzwischen eingefallen. Ich glaube ganz bestimmt, sie heißt Luise. Und auch der Nachname beginnt mit einem L. Irgend etwas mit La… so wie Labruyere…«
    »Haben Sie nicht gesehen, ob unter den Sachen, die sie aus ihrer Handtasche in die silberne steckte, ein Personalausweis war?«
    »Nein.«
    »Auch keine Schlüssel?«
    »Warten Sie! Nicht mehrere Schlüssel. Nein, nur ein kleiner Schlüssel aus Messing.«
    Er hörte sie rufen:
    »Viviane, komm mal eben her…«
    Er konnte aber nicht

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