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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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einen Verwandten bei sich aufzunehmen. Und nun riskiere ich dadurch, meine Stelle zu verlieren. Das kommt wohl in die Zeitungen?«
    »Das ist möglich. Was für ein Mensch war sie?«
    »Das junge Mädchen? Ich weiß nichts weiter von ihr. Wenn sie an meiner Loge vorüberkam, nickte sie bloß, falls sie überhaupt daran dachte, aber gesprochen hat sie nie mit mir.«
    »Wohnte sie schon lange hier?«
    Janvier machte sich Notizen, und das kam der Concierge unheimlich vor, so daß sie sich jede Antwort genau überlegte.
    »Wenn ich mich recht erinnere, ist sie kurz vor Neujahr eingezogen.«
    »Hatte sie Gepäck bei sich?«
    »Nur einen kleinen blauen Koffer.«
    »Wie ist sie an Madame Cremieux gekommen?«
    »Ich hätte mir gleich denken müssen, daß das noch einmal ein schlimmes Ende nehmen würde. Es ist das erstemal, daß ich mich habe beschwatzen lassen, aber, glauben Sie mir, was auch kommen mag, es passiert mir nicht noch einmal. Madame Cremieux wohnte hier schon, als ihr Mann noch lebte, der Bankprokurist war, ja, ehe ich ins Haus kam.«
    »Wann ist er gestorben?«
    »Vor fünf oder sechs Jahren. Sie hatten keine Kinder, und als er starb, jammerte sie, es sei furchtbar, in einer großen Wohnung allein zu leben. Dann hat sie mir von ihrer Pension berichtet, die, obwohl alles teurer geworden ist, nicht erhöht wurde.«
    »Ist sie vermögend?«
    »Sie muß allerhand besitzen. Eines Tages hat sie mir gestanden, daß ihr zwei Häuser im 20. Arrondissement gehören. Als sie zum erstenmal ein Zimmer vermietete, hat sie so getan, als ob es eine Verwandte aus der Provinz sei, aber ich bin schnell dahintergekommen und darauf gleich zu ihr gegangen. Sie hat mir angeboten, mir ein Viertel der Miete zu geben, und ich bin so dumm gewesen und habe das Geld genommen. Für eine einzelne Person ist ihre Wohnung allerdings viel zu groß.«
    »Annoncierte sie in Zeitungen?«
    »Ja. Aber ohne Adresse, nur mit Telefonnummer.«
    »Aus was für Kreisen kamen ihre Mieterinnen?«
    »Das ist schwer zu sagen. Die meisten stammten aus ordentlichen Verhältnissen. Es waren berufstätige Mädchen, die froh waren, hier ein größeres Zimmer als in einer Pension zu haben, das nicht mehr, ja sogar noch weniger kostete. Ein einziges Mal hat sie ein Mädchen gehabt, das einen ebenso anständigen Eindruck machte wie die anderen, aber dann nachts heimlich Männer mitbrachte. Schon zwei Tage später hat sie sie hinausgeworfen.«
    »Erzählen Sie mir von der letzten.«
    »Was möchten Sie wissen?«
    »Alles.«
    Die Concierge blickte mechanisch auf das Foto in der Zeitung.
    »Ich habe es Ihnen ja schon gesagt, ich habe sie immer nur vorbeikommen sehen. Sie ging jeden Morgen gegen neun oder halb zehn weg.«
    »Wissen Sie nicht, wo sie arbeitete?«
    »Nein.«
    »Kam sie zum Mittagessen nach Hause?«
    »Madame Cremieux erlaubte ihr nicht, in der Wohnung zu kochen.«
    »Wann kam sie zurück?«
    »Abends. Manchmal um sieben, manchmal aber auch erst um zehn oder elf.«
    »Ging sie viel aus? Besuchten Freunde oder Freundinnen sie?«
    »Es hat sie nie jemand besucht.«
    »Haben Sie sie nie im Abendkleid gesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, das war ein Mädchen, wie es sie zu Dutzenden gibt, und ich habe kaum auf sie geachtet. Zumal ich von vornherein ahnte, daß das nicht lange dauern würde.«
    »Warum?«
    »Das hab’ ich Ihnen auch schon gesagt. Die Alte will zwar ein Zimmer vermieten, aber sie möchte nicht dadurch gestört werden. Sie ist gewohnt, um halb elf schlafen zu gehen, und wenn ihre Mieterin einmal später kommt, macht sie ihr eine Szene. Im Grunde sucht sie nicht sosehr eine Mieterin wie jemanden, der ihr Gesellschaft leistet und mit ihr Karten spielt.«
    Sie konnte Maigrets Lächeln nicht verstehen, der bei ihren Worten an Mademoiselle Irene denken mußte, die heimatlose Mädchen bei sich aufnahm, vielleicht aus Hilfsbereitschaft, aber vielleicht auch, um nicht allein zu sein, und da sie ihr sozusagen das Leben verdankten, wurden sie für eine kürzere oder längere Zeit so etwas wie ihre Sklavinnen.
    Madame Cremieux nahm Mieterinnen. Im Grunde jedoch kam das auf das gleiche hinaus. Wie viele alte Witwen und alte Jungfern gab es in Paris, die auf solche Weise versuchten, jemanden zu finden, der ihr einsames Leben teilte, und am liebsten jemanden, der noch jung und von Sorgen unbeschwert war!
    »Wenn ich das bißchen Geld zurückerstatten könnte, das sie mir gegeben hat… Ich möchte nicht meine Stellung verlieren.«
    »Kurzum,

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