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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ernst bezeichnen würde.«
    Er verstand, was sie sagen wollte, war aber nicht überzeugt.
    »Bist du müde?«
    Er nickte. Sie gingen früh schlafen. Am nächsten Morgen wehte ein heftiger Wind, dunkle Regenwolken trieben am Himmel, und Madame Maigret drängte ihren Mann, seinen Schirm mitzunehmen.
    Als er gerade sein Büro verlassen wollte, um sich zum Rapport zu begeben, läutete das Telefon. Er war schon an der Tür und machte noch einmal kehrt.
    »Hier Kommissar Maigret.«
    »Es möchte Sie jemand sprechen, der seinen Namen nicht nennen will«, sagte der Telefonist.
    »Geben Sie ihn mir.«
    Gleich darauf hörte er eine laute, schrille Stimme, die den Hörer vibrieren ließ, die Stimme von jemand, der es nicht gewöhnt ist, zu telefonieren.
    »Ist dort Kommissar Maigret?«
    »Ja, ich bin’s. Wer ist am Apparat?«
    Es folgte ein Schweigen.
    »Hallo, ich höre.«
    »Ich kann Ihnen etwas über das junge Mädchen sagen, das ermordet worden ist.«
    »Das Mädchen von der Place Vintimille?«
    Wieder Schweigen.
    Ist es am Ende ein Kind, das da anruft? fragte er sich.
    »Nun reden Sie schon. Haben Sie sie gekannt?«
    »Ja. Ich weiß, wo sie wohnte.«
    Er war davon überzeugt, daß die Anrufende nicht aus Scheu immer so große Pausen eintreten ließ, sondern weil ihr das Telefon unheimlich war. Sie schrie, statt zu sprechen, weil sie den Mund zu nahe an den Apparat hielt. Irgendwo spielte ein Radio. Er hörte das Weinen eines Babys.
    »Wo ist es?«
    »Rue de Clichy 123.«
    »Wer sind Sie?«
    »Wenn Sie etwas wissen wollen, brauchen Sie sich nur an die alte Madame Cremieux im zweiten Stock zu wenden.«
    Er vernahm eine zweite Stimme, die rief:
    »Rose! Rose! Was ist denn?«
    Fast unmittelbar darauf wurde eingehängt.
    Er blieb nur ein paar Minuten im Büro des Chefs, und da Janvier gerade kam, nahm er ihn mit.
    Der Inspektor war am Tage zuvor vergeblich in ganz Paris herumgelaufen.
    Lognon, der sich mit den Nachtlokalen und den Taxis befaßte, hatte noch nichts wieder von sich hören lassen.
    »Man könnte denken, ein junges Mädchen, das erst eben vom Lande in die Stadt gekommen ist«, sagte Maigret zu Janvier. »Sie spricht irgendeinen Dialekt.«
    Das Haus Nr. 123 in der Rue de Clichy war ein biederes Bürgerhaus wie die meisten im Viertel. Die beiden Männer gingen zunächst zur Concierge, einer Frau in den Vierzigern, die sie mißtrauisch musterte.
    »Kriminalpolizei«, sagte Maigret und zeigte seine Marke.
    »Was wollen Sie?«
    »Wohnt hier eine Madame Cremieux?«
    »Im zweiten Stock links.«
    »Ist sie zu Hause?«
    »Wenn sie nicht gerade ihre Besorgungen macht. Ich habe sie aber heut morgen noch nicht vorbeikommen sehen.«
    »Lebt sie allein?«
    Die Concierge schien kein ganz reines Gewissen zu haben.
    »Allein und nicht allein.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Hin und wieder hat sie jemanden bei sich.«
    »Jemanden aus ihrer Familie?«
    »Nein. Nun, was soll ich ein Geheimnis daraus machen? Sie muß selber dafür geradestehen. Gelegentlich vermietet sie ein Zimmer an ein junges Mädchen.«
    »Nur für einige Zeit?«
    »Sie würde lieber eine Dauermieterin haben, aber bei ihrem Charakter halten sie’s alle nicht lange bei ihr aus. Ich glaube, die letzte war schon die fünfte oder sechste.«
    »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
    »Weil sie mich das erstemal, als sie eine Verkäuferin aus einem Warenhaus bei sich wohnen hatte, gebeten hat, zu sagen, es sei ihre Nichte.«
    »Hat sie sie bei Ihnen gemeldet?«
    Sie zuckte die Schultern.
    »Erstens gestattet der Wirt keine Untervermietungen, und dann, wenn man möbliert vermietet, muß man es auf dem Revier melden und Papiere ausfüllen. Und sie will das, glaube ich, darum nicht, damit das Finanzamt nichts von der zusätzlichen Einnahme erfährt.«
    »Deswegen haben Sie die Polizei nicht benachrichtigt?«
    Sie verstand, worauf er anspielte. Auf einem Stuhl lag übrigens noch eine Zeitung vom Tage zuvor, auf deren erster Seite das Foto der Unbekannten zu sehen war.
    »Kannten Sie sie?«
    »Das war die letzte.«
    »Was für eine letzte?«
    »Die letzte Mieterin. Die letzte Nichte, um es wie die Alte zu sagen.«
    »Wann haben Sie sie zum letztenmal gesehen?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe es mir nicht gemerkt.«
    »Wissen Sie ihren Namen?«
    »Madame Cremieux nannte sie Luise. Da sie, solange sie hier wohnte, keine Post bekam, kenne ich ihren Familiennamen nicht. Wie ich Ihnen schon sagte, wußte ich offiziell nicht, daß sie Mieterin war. Die Leute haben das Recht,

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