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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Kundin, die auf dem Fernamt arbeitet. Mademoiselle Pore ist ihre Tante. Ich glaube, sie verstanden sich schließlich nicht mehr, und das junge Mädchen hat beschlossen, allein zu leben.«
    »Glauben Sie, daß Mademoiselle Pore zu Hause ist?«
    »Wenn ich mich nicht täusche, beginnt ihr Dienst in dieser Woche um sechs Uhr morgens und endet um drei. Es ist darum durchaus möglich, daß Sie sie antreffen.«
    Kurz darauf gingen Maigret und Janvier in das Nachbarhaus.
    »Mademoiselle Pore?« fragten sie die Concierge.
    »Zweiter Stock links. Es ist schon jemand bei ihr.«
    Das Haus hatte keinen Fahrstuhl, und die Treppe war düster. Statt eines Klingelknopfes befand sich an der Wohnungstür eine Schnur, die drinnen eine schrille Glocke in Bewegung setzte.
    Kaum hatten sie an der Schnur gezogen, da öffnete sich schon die Tür. Eine magere Person mit scharfen Zügen und kleinen schwarzen Augen blickte sie streng an.
    »Was wünschen Sie?«
    Als Maigret gerade antworten wollte, bemerkte er im Halbdunkel das Gesicht Inspektor Lognons.
    »Entschuldigen Sie, Lognon, ich wußte nicht, daß ich Sie hier treffen würde.«
    Der Pechvogel warf ihm einen ergebenen Blick zu. Mademoiselle Pore murmelte:
    »Kennen Sie sich?«
    Sie entschloß sich, die beiden hereinzulassen. In der sauberen Wohnung roch es nach Küchendüften. Zu viert befanden sie sich jetzt in einem kleinen Eßzimmer und wußten alle nicht, wie sie sich verhalten sollten.
    »Sind Sie schon lange hier, Lognon?«
    »Knapp fünf Minuten.«
    Es war nicht der Augenblick, ihn zu fragen, wie er die Adresse ausfindig gemacht hatte.
    »Haben Sie schon etwas erfahren?«
    Es war Mademoiselle Pore, die antwortete.
    »Ich habe schon begonnen, ihm zu sagen, was ich weiß, bin aber noch nicht fertig damit. Als ich das Foto in der Zeitung gesehen habe, bin ich nur darum nicht zur Polizei gegangen, weil ich sie nicht mit Gewißheit wiedererkannte. In dreieinhalb Jahren können sich die Menschen verändern, besonders in diesem Alter. Und außerdem mische ich mich nicht gern in Dinge, die mich nichts angehen.«
    »Janine Armenieu ist Ihre Nichte, nicht wahr?«
    »Ich habe nicht von ihr gesprochen, sondern von ihrer Freundin. Ja, Janine ist die Tochter meines Stiefbruders, aber ich kann mich nicht mit der Art einverstanden erklären, in der er sie erzogen hat.«
    »Stammt sie aus dem Süden?«
    »Wenn Sie Lyon zum Süden rechnen. Mein armer Bruder arbeitet in einer Spinnerei, und seit er seine Frau verloren hat, ist er nicht mehr der gleiche.«
    »Wann ist seine Frau gestorben?«
    »Im vorigen Jahr.«
    »Janine Armenieu ist vor vier Jahren nach Paris gekommen?«
    »Ja, vor ungefähr vier Jahren. Lyon war ihr nicht mehr gut genug. Sie war siebzehn Jahre alt und wollte ihr eigenes Leben leben. So scheinen die jungen Dinger heute alle zu sein. Mein Bruder hat mir geschrieben, er könne seine Tochter nicht mehr festhalten, sie sei nun einmal entschlossen, nach Paris zu gehen, und ob ich sie bei mir aufnehmen könne. Ich habe ihm geantwortet, ich wolle das tun und ich könne vielleicht sogar eine Stellung für sie finden.«
    Sie betonte beim Sprechen jede Silbe, als ob das, was sie sagte, von größter Wichtigkeit sei. Dann blickte sie die drei Männer nacheinander an und fragte plötzlich:
    »Wie kommt es, daß Sie, da Sie doch alle der Polizei angehören, getrennt gekommen sind?«
    Was sollte man darauf antworten? Lognon senkte den Kopf. Maigret sagte:
    »Wir gehören verschiedenen Abteilungen an.«
    Um die Situation noch vollends peinlich zu machen, sagte sie mit einem Blick auf Maigrets imposante Gestalt:
    »Sie sind wohl der Höhere? Was ist Ihr Dienstgrad?«
    »Kommissar.«
    »Sie sind Kommissar Maigret?«
    Und als er nickte, schob sie ihm einen Stuhl hin.
    »Setzen Sie sich. Ich werde Ihnen alles erzählen. Wo war ich doch stehengeblieben? Ach so, ja, bei dem Brief meines Stiefbruders. Wenn Sie wollen, kann ich ihn heraussuchen, denn ich hebe alle Briefe auf, die ich bekomme.«
    »Das ist nicht nötig. Danke.«
    »Nun, wie Sie wollen. Ich habe also jenen Brief bekommen, habe ihn beantwortet, und eines Morgens um halb acht stand meine Nichte vor der Tür. Schon das allein zeigt Ihnen, wes Geistes Kind sie ist. Es fahren tagsüber ausgezeichnete Züge, aber sie mußte durchaus den Nachtzug nehmen. Weil das romantischer ist, verstehen Sie? Zum Glück arbeitete ich in jener Woche gerade in der zweiten Schicht. Nun, genug davon. Ich will mich auch nicht über die Art ihrer Kleidung und

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