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Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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von einem bläulichen Grau, und der Regen fiel diagonal, prasselte auf die Fensterbank, während die Menschen auf dem Pont Saint-Michel plötzlich wie in alten Stummfilmen schneller gingen und die Frauen ihre Röcke festhielten.
    Das zweitemal kam kein Wasser vom Himmel, sondern Hagelkörner, die wie Ping-Pong-Bälle sprangen, und als er das Fenster wieder schloß, lagen ein paar davon mitten im Zimmer.
    Ob Lognon immer noch draußen war, mit trüber Miene und hängenden Ohren wie ein Jagdhund, um Gott weiß welche Spur in der Menge zu verfolgen? Es war möglich. Es war sogar wahrscheinlich.
    Er hatte noch nicht angerufen. Er hatte nie einen Regenschirm bei sich, aber er stellte sich auch nicht wie andere in eine Toreinfahrt, um das Ende der Husche abzuwarten, sondern schien es im Gegenteil mit einer Art bitterer Wollust zu genießen, bis auf die Haut naß zu werden, allein im stärksten Unwetter auf der Straße zu sein, ein Opfer der Ungerechtigkeit und seines eigenen Gewissens.
    Janvier war gegen drei Uhr leicht benebelt zurückgekommen. Man erlebte das selten bei ihm, dieses Flackern in den Augen und den heiseren Klang der Stimme.
    »Es ist so, Chef.«
    »Was ist so?«
    Nach seinen Worten hätte man glauben können, daß er das junge Mädchen eben lebendig wiedergefunden habe.
    »Und hast du etwas über Santoni erfahren?«
    »Nichts sonderlich Interessantes. Seine Freunde sind nur sehr überrascht gewesen, daß er geheiratet hat. Bisher waren seine Liebschaften immer von kurzer Dauer.«
    Maigret hatte plötzlich Verlangen, hinauszugehen, und wollte schon Hut und Mantel nehmen, als das Telefon läutete.
    »Hier Kommissar Maigret.«
    Es war Nizza. Feret hatte sicherlich etwas Neues zu berichten, denn er war ebenso aufgeregt wie Janvier vorhin.
    »Ich habe die Mutter ausfindig gemacht, Chef! Um mit ihr zu sprechen, mußte ich nach Monte Carlo fahren.«
    So ist es fast immer. Stunden-, tage-, ja manchmal wochenlang tritt man auf der gleichen Stelle, und dann kommen von allen Seiten auf einmal die Informationen.
    »War sie im Kasino?«
    »Sie ist noch dort. Sie hat mir erklärt, sie könne nicht vom Roulettetisch fort, bevor sie nicht nur ihren Einsatz wieder heraus, sondern auch das Geld, das sie brauche, gewonnen habe.«
    »Geht sie jeden Tag dorthin?«
    »Genauso, wie andere ins Büro gehen, Sie spielt so lange, bis sie die paar hundert Francs gewonnen hat, die sie zum Leben braucht. Aber dann geht sie sofort weg.«
    Maigret kannte dieses System.
    »Wie ist das Wetter da unten?«
    »Prächtig. Es wimmelt von Ausländern, die zum Karneval gekommen sind. Morgen haben wir die Blumenschlacht und man ist gerade dabei, die Podien zu errichten.«
    »Heißt sie Laboine?«
    »Auf ihrem Personalausweis steht Germaine Laboine, aber sie nennt sich Liliane. Die Croupiers kennen sie unter dem Namen Lili. Sie ist fast sechzig Jahre alt, sehr stark geschminkt und mit falschem Schmuck behängt. Sie kennen diesen Typ sicher. Ich hatte größte Mühe, sie vom Roulettetisch wegzuziehen, an dem sie als Stammkundin saß. Ich mußte ihr brutal erklären: ›Ihre Tochter ist tot.‹«
    Maigret fragte:
    »Wußte sie es nicht schon aus den Zeitungen?«
    »Sie liest keine Zeitungen. Solche Leute interessieren, sich nur fürs Roulett. Jeden Morgen kaufen sie ein kleines Blatt, in dem die am Tage zuvor und in der vorhergehenden Nacht herausgekommenen Nummern veröffentlicht werden. Es sind ihrer eine ganze Menge, sie fahren jeden Morgen mit dem gleichen Autobus von Nizza hinüber und stürzen sich auf die Spieltische wie die Verkäuferinnen in den Warenhäusern auf ihre Theken.«
    »Wie hat sie auf die Nachricht reagiert?«
    »Das ist schwer zu sagen. Rot hatte gerade zum fünftenmal gewonnen, und sie hatte auf Schwarz gesetzt. Sie hat zunächst einige Jetons auf den Tisch geworfen. Ihre Lippen haben sich bewegt, aber ich konnte nicht hören, was sie sagte. Erst als endlich Schwarz herauskam, hat sie sich erhoben, nachdem sie ihren Gewinn eingestrichen hatte.
    ›Wie ist das passiert?‹ hat sie mich gefragt.
    ›Kommen Sie bitte mit mir hinaus.‹
    ›Das kann ich jetzt nicht. Ich muß auf das Spiel aufpassen. Wir können uns aber trotzdem unterhalten. Wo ist es geschehen?‹
    ›In Paris.‹
    ›Ist sie im Krankenhaus gestorben?‹
    ›Man hat sie auf der Straße gefunden.‹
    ›Ein Unfall?‹
    ›Sie ist ermordet worden.‹
    Sie schien überrascht, hörte dabei aber weiter auf die Stimme des Croupiers, der ausrief, was gewonnen hatte. Dann

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