Maigret und Monsieur Charles
hat sich nicht lange aufgehalten ...«
»Ist sie unfreundlich aufgenommen worden?«
»Man hat sie nicht gerade zuvorkommend empfangen. Nicht einmal ihr Mann.«
»Warum?«
Wieder schwieg er, noch verlegener als vorher.
»Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, aber Sie bringen mich in eine peinliche Situation. Die Beziehung meines Chefs zu seiner Frau geht mich nichts an...«
»Und wenn ein Verbrechen begangen wurde?«
»Das wäre natürlich etwas ganz anderes... Wir hier verehren Monsieur Gerard... So nenne ich ihn, denn ich habe ihn kennengelernt, als er gerade von der Universität kam... Das ganze Personal schätzt ihn sehr... Keiner erlaubt sich, über sein Privatleben zu urteilen...«
»Für seine Frau trifft dies, wie ich zu verstehen glaube, indes nicht zu.«
»Sie ist fast so etwas wie ein Fremdkörper hier im Haus. Ich will nicht behaupten, dass sie verrückt ist. Trotzdem ist sie wie ein Dorn im Fleisch.«
»Weil sie trinkt?«
»Das kommt noch hinzu.«
»War Ihr Chef unglücklich mit ihr?«
»Er hat sich nie beklagt. Er hat sich nach und nach sein eigenes Leben aufgebaut...«
»Sie sprachen vorhin von den Schecktalons, die durch Ihre Hände gingen. Ich nehme an, er stellte die Schecks zu Gunsten der Frauen aus, mit denen er eine mehr oder weniger lange Zeit verbrachte...«
»Das nehme ich auch an, aber einen Beweis habe ich nicht dafür... Die Schecks waren nämlich nie auf einen bestimmten Namen ausgestellt, sondern auf den Überbringer ... Es gab welche über fünftausend ebenso wie über zwanzigtausend Francs...«
»Waren auch solche darunter, die jeden Monat auf den gleichen Betrag lauteten?«
»Nein. Deshalb glaube ich auch nicht, dass er ein Zimmer in der Stadt hatte.«
Sie sahen sich jetzt stumm an.
»Einige Mitglieder des Personals«, seufzte der Kanzleileiter schließlich, »haben gesehen, wie er in Nachtclubs ging... In solchen Fällen blieb er dann fast immer mehr oder weniger lang fort...«
»Sie denken, dass ihm ein Unglück zugestoßen ist, nicht wahr?«
»Ich fürchte ja. Und Sie, Herr Kommissar?«
»Ich auch, nach dem Wenigen zu urteilen, das ich bis jetzt weiß... Kam es vor, dass ihn Frauen in seinem Büro anriefen? Ich nehme an, dass alle Anrufe über eine Zentrale laufen...«
»Natürlich habe ich die Telefonistin gefragt... Keine Spur von derartigen Anrufen...«
»Das gibt Anlass zu der Vermutung, dass er bei seinen Eskapaden nicht seinen richtigen Namen angab...«
»Da wäre noch ein Detail, das ich Ihnen, glaube ich, mitteilen sollte... Schon vor zwei Wochen begann ich mir Sorgen zu machen... Ich rief Madame Sabin- Levesque an, um es ihr zu sagen und ihr zu raten, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen...«
»Was hat Sie Ihnen geantwortet?«
»Dass es noch keinen Anlass gäbe, sich zu beunruhigen und dass sie zu gegebener Zeit handeln würde...«
»Sie hat Sie nicht heraufgebeten und ist nicht heruntergekommen, um die Sache mit Ihnen zu besprechen?«
»Nein.«
»Für den Augenblick habe ich keine Fragen mehr an Sie. Wenn es etwas Neues geben sollte, möchte ich Sie bitten, mich bei der Kriminalpolizei anzurufen. Ach, noch etwas. Teilt das Hauspersonal im ersten Stock die Gefühle der Kanzleiangestellten in bezug auf Madame Sabin-Levesque?«
»Ja. Besonders Marie Jalon, die Köchin, die schon seit vierzig Jahren im Haus ist und Monsieur Gerard schon als kleines Kind kannte, hasst sie buchstäblich.«
»Und die anderen?«
»Sie ertragen sie, mehr nicht. Bis auf die Zofe, die ihr ergeben ist und sie auskleidet und zu Bett bringt, wenn sie der Länge nach auf dem Boden liegt...«
»Ich danke Ihnen.«
»Werden Sie eine Ermittlung einleiten?«
»Ohne viele Trümpfe in der Hand zu haben. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.«
Maigret ging hinaus. In der Nähe der Metrostation Solférino trat er in ein Cafe. Er bestellte sich keinen Cognac, der ihm für lange Zeit verleidet war, sondern eine schöne kühle Halbe.
»Haben Sie eine Telefonmünze?«
Er schloss sich in die Kabine ein und suchte die Nummer des Anwalts heraus, bei dem Nathalie angeblich vor ihrer Eheschließung gearbeitet hatte, Maître Bernard d’Argens. Der Name stand nicht im Telefonbuch.
Er trank sein Glas aus und nahm ein Taxi, nannte die Adresse in der Rue de Rivoli.
»Warten Sie auf mich. Es dauert nicht lange.«
Er trat in die Pförtnerloge, die eine Art Wohnzimmer war. Den Pförtnerdienst tat keine Frau, sondern ein weißhaariger Mann.
»Rechtsanwalt d’Argens bitte?«
»Der
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